Tag der Veteranen

Wie verarbeitet man 95 Amputationen, Inga Frisk?

Wie verarbeitet man 95 Amputationen, Inga Frisk?

Wie verarbeitet man 95 Amputationen, Inga Frisk?

Sonderburg/Sønderborg
Zuletzt aktualisiert um:
Ein Verletzter wird 2007 aus dem Camp Bastion ausgeflogen, nachdem er im Feldkrankenhaus stabilisiert wurde. Foto: Susan Schulman/Shutterstock/Ritzau Scanpix

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Inga Frisk hat als Krankenschwester in Kriegsgebieten mitgearbeitet. Im Interview erzählt die 65-Jährige von ihrem Einsatz und davon, was Krieg mit den Menschen macht.

Als ihr Sohn in den Krieg zog, wollte Inga Frisk etwas tun. Als Krankenschwester wollte sie dafür sorgen, dass auch die Söhne anderer Mütter in einem Kriegsgebiet bestmöglich medizinisch versorgt werden.

Grundausbildung beim Militär

Inga Frisk meldete sich als Auslandskrankenschwester – und durchlief beim dänischen Militär eine Grundausbildung. Schwamm 2006 im Esrum See bei minus 10 Grad, robbte durch Schlamm und lernte zu klettern, bevor sie 2007 für drei Monate in den Kosovo entsandt wurde. Ihr erstes Mal in einem Kriegsgebiet.

Drei weitere Einsätze sollten folgen.

Inga Frisk war beim Internationalen Flaggentag zu Gast in Sonderburg. Foto: Sara Eskildsen

Als Operationskrankenschwester im Dienst des dänischen Militärs hat sie zwischen 2007 und 2013 viermal für jeweils drei Monate in Kriegslagern gearbeitet.

In Sonderburg hat sie beim Tag der Veteranen, dem Nationalen Flaggentag, über ihre Erlebnisse berichtet. Und auf das Schicksal der dänischen Veteraninnen und Veteranen aufmerksam gemacht. „Der Nordschleswiger“ hat darüber mit Inga Frisk gesprochen.

Mission: Den Söhnen anderer Mütter helfen

Wie kam es, dass du dich als freiwillige Operationskrankenschwester für einen Einsatz im Kriegsgebiet gemeldet hast?
„Der Grund dafür war mein Sohn, der als Soldat ins Ausland ging. Und ich hatte die idealistische Vorstellung, dass mein Sohn, wenn er im Krieg zu Schaden kommt, die bestmögliche Versorgung erhalten sollte. Und so wollte ich dazu beitragen, dass auch die Söhne anderer Mütter in einem Kriegsgebiet bestmöglich versorgt werden. Ich ging einen Vertrag mit dem Militär ein und wurde als Krankenschwester von meinem Arbeitgeber für die Zeit vom Dienst freigestellt. Prinzipiell finde ich: Wenn Dänemark Menschen in Brennpunkte schickt, dann muss es auch Menschen geben, die sich dort um sie kümmern.“

Auch Opfer aus der Zivilbevölkerung wurden im Camp Bastion behandelt. Hier ein Junge, der 2010 in das von Britannien betriebene Feldlazarett eingeliefert wurde. Foto: Mod/PA Images/Ritzau Scanpix

2007 arbeitete Inga Frisk im Kosovo, 2008, 2009 und 2013 in Afghanistan. Vor allem der Einsatz im Camp Bastion 2009 war herausfordernd.

Bis zu 40.000 Menschen lebten damals in dem Camp. Verletzte Soldaten und zivile Opfer wurden im britischen Feldlazarett von Inga Frisk und ihrem Team versorgt.

Wie sah dein Arbeitsalltag im Camp aus?
„In 2009 gab es besonders viele Opfer. Wir haben allein in dieser Zeit 80 Beine und 15 Arme amputiert. 170-mal mussten wir Operationen am offenen Magen durchführen, meistens wegen Schusswunden. Wir mussten 20 Brustkästen aufschneiden und Knochen zerbrechen, um ans Herz zu gelangen. Es ging also in erster Linie um Überlebens-Chirurgie. Ich kann mich an einen Soldaten erinnern, der so übel zugerichtet war, dass sieben Ärzte auf einmal an ihm operiert haben. Wir waren zwei Krankenschwestern, die Instrumente gereicht haben. Am Ende der Operation haben wir den Mann geröntgt, um sicherzugehen, dass wir alles wieder aus dem Körper entfernt hatten. Wir haben viele, viele grausam zugerichtete Menschenkörper gesehen.“

Inga Frisk war als Operationskrankenschwester in Kriegsgebieten im Einsatz. In Sonderburg hat sie beim Veteranen-Tag von ihren Erfahrungen berichtet. Foto: Karsten Frisk

Da habe ich mich schon gefragt: Wäre es nicht besser gewesen, diesen Mann sterben zu lassen? Was für ein Leben wartet nun auf ihn?

Inga Frisk, ehemalige OP-Krankenschwester

Wie konntest du mit so viel Leid umgehen?
„Ich habe gearbeitet. Man arbeitet und gibt sein Bestes. Hilft, wo man kann. Ich erinnere mich an einen kanadischen Soldaten, der beide Beine und beide Arme verloren hatte. Er hatte nur einen kleinen Stumpf an der Schulter, wo man eine Prothese hätte anbringen können. Da habe ich mich schon gefragt: Wäre es nicht besser gewesen, diesen Mann sterben zu lassen? Was für ein Leben wartet nun auf ihn? Ein kluger Mensch hat damals zu mir gesagt: Inga, das liegt nicht an uns zu entscheiden, ob der Mann sein Leben annehmen will oder nicht. Wir tun alles, damit er überlebt. Ob er sein neues Leben dann auch will, muss der Mann selbst entscheiden. Ich fand, das war sehr klug auf den Punkt gebracht. Das hat mir geholfen.“

Konntest du nach einem solchen Erlebnis nachts schlafen?
„Du kannst mir glauben: Man war nach dem Dienst so furchtbar müde, dass man sofort eingeschlafen ist. Es kam nur selten vor, dass ich schlecht einschlafen konnte. Man funktioniert, um seinen Dienst tun zu können.“

Beim nationalen Flaggentag werden die Veteranen Dänemarks geehrt. Was bringt so ein Tag eigentlich?
„Man wird für den Einsatz geehrt, und das hat Bedeutung. Der Tag macht darauf aufmerksam, dass es Menschen gibt, für die nach dem Krieg nichts mehr so ist, wie es vorher war.“

Auf dem Sonderburger Rathausplatz standen beim Flaggentag Menschen im Mittelpunkt, die in einem Kriegsgebiet gedient haben. Foto: Karsten Frisk

Was können Bürgerinnen und Bürger tun, um den Veteranen zu helfen?
„Man sollte versuchen zu verstehen, dass man sich nach so traumatischen Erlebnissen nicht einfach mal zusammenraufen kann. Jeder sollte sich klar darüber sein: Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) können nicht einfach darüber hinwegkommen, indem sie sich zusammennehmen. An manchen Tagen funktioniert man vielleicht, an manchen Tagen geht gar nichts mehr. Dieser Wechsel erfordert von allen Angehörigen und Involvierten ein großes Verständnis und viel Geduld.“

Wie sind die Strukturen für Veteranen hierzulande – leistet der Staat genug, um die Soldatinnen und Soldaten nach ihrer Rückkehr aufzufangen?
„Es ist auf jeden Fall besser geworden. Die Soldaten, die zu Beginn der Afghanistan-Mission nach Dänemark zurückgekehrt sind, denen wurde so gut wie gar nicht geholfen. Sie kamen zurück und sollten funktionieren. So ist es heute nicht mehr. Wir haben das Veteranen-Zentrum in Ringsted, und jede Kommune ist verpflichtet, einen Veteranen-Koordinator zu stellen. Das machen manche Kommunen weitaus besser als andere.“

Wie sieht es in Sonderburg aus?
„Sonderburg hat mit Kim (Andersen, d. Red.) einen sehr fähigen Koordinator, und es gibt eine gute Arbeit und Hilfe für Veteranen. Das ist bestimmt nicht überall so!“

Nicht alle dänischen Soldaten haben Afghanistan überlebt. Hier kehren die sterblichen Überreste des Soldaten Kenneth Patrick Nielsen nach Dänemark zurück, nachdem er am 25. November 2009 in der Helmand Provinz tödlich verwundet wurde. Der 23-Jährige wurde nach Ankunft im Feldhospital von Camp Bastion für tot erklärt. Foto: Jens Dige/Ritzau Scanpix

Es ist 2007, und du kannst dich noch mal entscheiden – würdest du es wieder tun und dich für einen Auslandseinsatz melden?
„Ja, das würde ich. Für mich ergibt es immer wieder Sinn. Das, was ich getan habe, war wichtig. Solange Dänemark Menschen an Brennpunkte in aller Welt schickt, muss es auch Menschen geben, die ihnen helfen.“

Wirst du noch einmal als Krankenschwester ins Ausland gehen?
„Ich bin mittlerweile Frührentnerin. Die Arbeit als OP-Krankenschwester ist hart. Ich bin deshalb mit 63 in Frührente gegangen. Mit 67 werde ich in Rente gehen. Ich denke, ich habe meinen Teil geleistet. Ich bin aber als Ehrenamtliche weiterhin aktiv. Es gibt eine Telefonleitung für Veteranen, die ich mit 14 Ehrenamtlichen aus ganz Dänemark betreue. So haben die Veteranen jederzeit die Möglichkeit, mit jemandem zu sprechen, wenn es ihnen schlecht geht. Wir können dann die Veteran-Koordinatoren der Kommunen auf die jeweilige Situation aufmerksam machen. Das Thema ist mir also immer noch wichtig. Es ist so schwer, nach dem Krieg im Alltag weiterzumachen!“

Ist dein Sohn wohlbehalten aus dem Kriegsgebiet zurückgekehrt?
„Ja, das ist er. Er ist immer noch im Dienst der Nato, aber mittlerweile arbeitet er meistens im Büro. Ja, mit ihm hat alles begonnen als er sagte: Mama, du bist so gut in deinem Beruf, dich brauchen die Soldaten! Ich bin froh, dass ich meinen Teil dazu beitragen konnte, die Söhne anderer Mütter zu retten.“

Inga Frisk ist 65 Jahre alt und lebt in Vejle. Sie ist auf Kekenis (Kegnæs) aufgewachsen und hat einen Bruder in Sonderburg.

 

 

 

 

 

Inga Frisk hielt beim Flaggentag in Sonderburg eine Rede. Foto: Karsten Frisk
Mehr lesen