Leitartikel

„Zweierlei Maß in der Verkehrspolitik“

Zweierlei Maß in der Verkehrspolitik

Zweierlei Maß in der Verkehrspolitik

Apenrade/Aabenraa
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Kein Wunder, dass Buslinien abgeschafft werden, meint Cornelius von Tiedemann: Eine Autobahn ohne Anschlussstellen würde schließlich auch nicht überleben. Doch für Nordschleswigs Zukunft ist es von zentraler Bedeutung, dass mehr Nähe zwischen den Bezugspunkten möglicher Zuzügler geschaffen wird, argumentiert er.

Neue Autobahnen braucht das Land! Schließlich bringen Autobahnen Wachstum selbst in die entlegensten Winkel des Landes. Diese Argumentation zog schon immer – und stach auch schon immer alle Gegenargumente aus. Ich erinnere mich an CDU-Plakate in Schleswig-Holstein, es kann in den 90er-Jahren gewesen sein, auf denen das mit dem kernigen Spruch „Autobahn statt Ökowahn!“ auf die Spitze getrieben wurde.

Vielfach geht die Rechnung tatsächlich auf. Autobahnen ziehen den Verkehr geradezu magisch an, „erschließen“ die Landschaft, die sie allerdings zugleich auch leider meistens zerstören – und sorgen damit auf die eine oder andere Weise für Wachstum.

Doch weshalb ist beim Thema Auto lieb, was beim Thema öffentlicher Verkehr dann immer nur als (zu) teuer hingestellt wird?

Wenn wir, gerade in der sogenannten Provinz, über Infrastruktur reden, dann müssen wir den öffentlichen Personen-Nah- und Fernverkehr eine viel wichtigere Rolle zugestehen als bisher, und das Thema mindestens auf Augenhöhe mit dem Individualverkehr auf der Straße behandeln. Und das auch völlig ungeachtet jeder klimapolitischen Argumentation.

Stattdessen werden im ohnehin schon stark ausgedünnten Busliniennetz in Süddänemark Buslinien wie jetzt der Bus von Apenrade (Aabenraa) über Ripen (Ribe) nach Esbjerg abgeschafft. Wegen zu geringer Nachfrage.

Das klingt natürlich erstmal so, als wäre das eine folgerichtige Maßnahme. Und aus kurzsichtiger wirtschaftlicher Sicht handelt die Betreibergesellschaft Sydtrafik hier auch vernünftig.

Doch für Nordschleswig ergibt sich daraus ein Dilemma. Die Anbindung an Esbjerg ist jetzt ohne Auto eine reine Farce. Auch deshalb, weil die Fahrpläne von Bussen und Bahnen schlecht bis gar nicht aufeinander abgestimmt sind – und wenn, dann wird das aus den digitalen Angeboten der Verkehrsgesellschaften nicht ersichtlich.

Expertenwissen ist vonnöten, will man von A nach B mithilfe unterschiedlicher Beförderungsmittel (also über C) gelangen – und dabei auf das Auto verzichten.

Dass viele der Busse in einem Landesteil wie Nordschleswig, wo es doch darum geht, auch die Älteren mobil zu halten, dann nicht einmal senioren- und behindertengerechte Zugänge haben, lässt in einem progressiven Land wie Dänemark nur Kopfschütteln aufkommen.  

So ist das Angebot nicht attraktiv, sondern unbequem – und so springen die Menschen ab und setzen lieber aufs Auto und nur im Ausnahmefall, wenn sie dazu in der Verfassung sind und wenn es denn zufällig ein zusammenhängendes Radwegenetz bis zum Zielort gibt, auf das Fahrrad.

Denn der große Vorteil den wir gegenüber der Stadt haben, die Ruhe und die Weite der Landschaft, gereicht uns zum Nachteil, wenn es um das Thema Nähe geht: Nähe zum Arbeitsplatz, zu Familie und Freunden, zu Bildungseinrichtungen, zu Kultur- und Nachtleben.

Da haben die größeren Städte einfach die Nase vorn. Und je mehr Bus- und Bahnlinien wir abschaffen, desto mehr Argumente sprechen dagegen, sich in Nordschleswig niederzulassen oder zurückzukehren. Aller Autobahnen zum Trotz.

Denn so, wie eine Autobahn ohne Anschlussstellen dem Land, durch das es fährt, dort kein Wachstum bringen kann, so verhungern natürlich auch Buslinien, die nicht von einem weitverzweigten Wurzelnetz anderer Linien versorgt werden.

Einige Parteien, darunter erfreulicherweise auch die Schleswigsche Partei, haben das begriffen und sehen, dass nur dann ein Schuh draus wird, wenn wir ganzheitlich denken: Es muss massiv in den kleinteiligen und übergeordneten öffentlichen Verkehr auf dem Lande investiert werden, damit die Region nachhaltig attraktiver wird.

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