Kulturkommentar

„Andere Welten öffnen“

Andere Welten öffnen

Andere Welten öffnen

Claudia Knauer
Claudia Knauer
Apenrade/Aabenraa
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Die Zahl der literarischen Übersetzungen schrumpft immer weiter. Hauptsächlich, weil es teuer ist. Und dennoch ist es wichtig, dass dies geschieht, schreibt Büchereidirektorin Claudia Knauer in ihrem Kulturkommentar und erklärt, warum KI diesen Job nicht übernehmen sollte.

Zwei- und Mehrsprachler haben neben vielen anderen Vorteilen auch den, dass sie Literatur in mehreren Sprachen lesen können. Für eine Nordschleswigerin ist es fast gleichgültig, ob das Buch auf Dänisch oder Deutsch erschienen ist. Die bedauernswerten Menschen, die sich nur in einer Sprache zu Hause fühlen, sind auf die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer angewiesen und auf Verlage, die sich die Mühe machen, ausländische Publikationen zu erwerben und übersetzen zu lassen. 

Und das werden immer weniger. Die Zahl der in Deutschland erschienenen Übersetzungen ist von 2022 auf 2023 um 6,8 Prozent gesunken. Übersetzen kostet Geld. Das ist immer so, wenn Menschen arbeiten. Etliche Verlage erwägen deshalb ernsthaft – oder tun es schon –, Übersetzungen durch die Künstliche Intelligenz machen zu lassen und den Profis, die das Übersetzen oftmals studiert haben, nur noch das Durchlesen und Nacharbeiten zu überlassen, zum sogenannten Post-Editing. Wie immer soll natürlich gespart werden, und das tut man auch – an der Kultur, an der Kreativität, an der Authentizität. 

Übersetzerhonorare sind schon im Vorwege jämmerlich niedrig, wenn man bedenkt, was für ein Prozess es ist, ein Buch aus einer Sprache in eine andere zu übertragen. Wer jemals in den Genuss einer Live-Übersetzung, genannt „gläsernes Übersetzen“, kam, hat eine Ahnung davon bekommen, welch Überlegungen angestellt werden müssen, um eine Silbe wie „nå“ im Kontext richtig zu übersetzen. Eine KI geht danach, was am wahrscheinlichsten auf welches Wort folgt – das reicht aber nicht. Bei Weitem nicht. Nå kann Ungeduld ausdrücken, Verständnis, eine Drohung sein oder ein Trostwort – das sind viele Möglichkeiten. Die Übersetzerin weiß, was passt.

Uns werden Welten geöffnet – allerdings meist aus dem Englischen. Knapp 60 Prozent der übersetzten Bücher wurden im Original in Englisch geschrieben. Nur 0,5 Prozent wurden aus dem Türkischen, 0,7 Prozent aus dem Dänischen, 1,8 Prozent aus dem Niederländischen, 2,1 Prozent aus dem Schwedischen und 12,8 Prozent aus dem Japanischen übersetzt.

Wenn wir die Welt wirklich verstehen wollen, ist da noch viel Luft nach oben.

Danke an die, die unser Verständnis anderer Kulturen erweitern. Wir haben es gerade dringend nötig.

Die in diesem Kulturkommentar vorgebrachten Inhalte sind nicht von der Redaktion auf ihre Richtigkeit überprüft. Sie spiegeln die Meinung der Autorin oder des Autors wider und repräsentieren nicht die Haltung des „Nordschleswigers“.

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Gwyn Nissen
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