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Heidegger – mit dänischem Akzent

Heidegger – mit dänischem Akzent

Heidegger – mit dänischem Akzent

Peter Buhrmann
Nordschleswig
Zuletzt aktualisiert um:
Martin Heidegger – dank Karsten Hvidtfelt Nielsen nun mit dänischem Akzent Foto: Privat

Das Werk des dänischen Verfassers Karsten Hvidtfelt Nielsen ist ins Deutsche übersetzt worden.

Der Verfasser und emeritierte Dozent für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Aarhus, Dr. habil Karsten Hvidtfelt Nielsen, hat nach seiner Pensionierung scheinbar Vergnügen daran gefunden, sich von den Zwängen wissenschaftlichen Schreibens zu befreien. Davon können wir als interessierte Leser jetzt profitieren: Drei ganze Bände über den deutschen Meisterdenker Martin Heidegger liegen schon in dänischer Sprache vor, und nun erscheint der zweite Band dieser Trilogie in deutscher Übersetzung. Ein Band, der als Monografie über Heidegger zu lesen ist.

Das Buch umfasst 735 Seiten und erzählt mit großer Ausführlichkeit den gesamten philosophischen Denkweg des großen deutschen Denkers. Der Verfasser bezeichnet sein Buch als eine Mischung aus Storytelling und Detailinterpretation,  und wer auch nur das Geringste mit dem Fach Philosophie oder Wissenschaftstheorie zu tun gehabt hat, wird wissen, wie „unleicht“ sich eine solche Kombination verwirklichen lässt. Aber genau das ist dem Autor gelungen: Karsten Hvidtfelt Nielsen kann sein beeindruckend umfassendes Wissen – nicht nur über Heidegger, sondern über die gesamte Ideengeschichte des Abendlandes – so leichtfüßig vermitteln, dass man als Leser von fast elementarer Spannung ergriffen wird. Chapeau.

Hvidtfelt Nielsen hat selbst die Übersetzung ins Deutsche geliefert. Im Vorwort verweist er mit viel Humor auf Søren Kierkegaard und Ludwig Heiberg als mögliche Vorbilder für den besonderen Umgang der Dänen mit der deutschen Sprache. Und sieht man vom Titel ab, der den verschmitzten Ton der dänischen Vorlage „Mig og Heidegger“ wohl kaum trifft, kann man dem Autor zu einer gelungenen Überführung seiner Muttersprache in die ganz anders geartete Sprachwelt des Deutschen nur gratulieren.  

Die Geschichte von Heideggers oft qualvoller Fahrt durch Mitwelt und Metaphysik wird mit einer stets freundlich bleibenden Distanz erzählt, die  der grundlegenden Solidarität des Erzählers mit seinem Protagonisten aber keinen Abbruch tut. Wer hat zum Beispiel jemals Heidegger einen Schlaumeier genannt? Oder ihn auf zwei Hochzeiten tanzen sehen?

Eine Legende

Der Verfasser nennt seinen Wälzer von Buch eine Legende. Er hätte ihn mit genauso viel Recht der Gattung der Romane hinzuzählen können, etwa in der Mitte zwischen Krimi und Bildungsroman. Erzählt wird die Geschichte davon, wie Heidegger in eine außergewöhnliche Forscherkarriere hineinwächst, die ihn mit so ziemlich allem, was bisher als philosophische Erkenntnis gilt, brechen lässt.
Die Kosten dabei sind beträchtlich. Doch durch alle Wechselfälle dieser Biografie bleibt die Hauptsache, die Entwicklung einer – wie der Verfasser meint – revolutionierenden Theorie von Bewusstsein und Sprache, die Heidegger von Anfang an angesteuert haben sollte.

Die wird durch eine akribische Lektüre der vielen Bände der Gesamtausgabe in einen Plot transformiert, der Spannungsmomente und Cliffhanger anzubieten hat. Bald scheinen Erzähler und Protagonist in einer Mischform von Zitat und Interpretation zu verschmelzen (vielleicht deshalb der Titel „Ich und Heidegger“?), bald tritt der Erste einen kleinen Schritt in den Vordergrund (vielleicht deshalb das „Ich“ zuerst?). Dabei scheint sich der Verfasser besonders dem Glauben an die aufklärerischen Qualitäten der Systemtheorie verschrieben zu haben. Ob zu Recht ist vielleicht Geschmackssache – diesem Rezensenten leuchtet dieses Verfahren jedoch durchaus ein.

Die durchgängige Ironie des Buches lösen vielleicht weniger die Manieren von Heideggers Sprache aus, für deren innere Notwendigkeit der Verfasser jedoch mitunter ein fast zu tolerantes Verständnis aufweist. Veranlasser mild sarkastischer oder leicht kopfschüttelnder Bemerkungen ist vielmehr der stets wechselnde Bezug, den Heidegger mit der Öffentlichkeit seiner Mitwelt aufrechterhielt.

Nachsichtiger Spott

Nach Ansicht des Verfassers hätte Heidegger nämlich derjenigen Öffentlichkeit stets fernbleiben sollen, über die er sein Leben lang unbarmherzig herzog. Das gelang ihm nie so recht. Ob es sich um den unglückseligen Pakt mit dem Dritten Reich oder um den hoheitsvollen Kult der 50er Jahre dreht, der Verfasser begegnet seinem Protagonisten mit  nachsichtigem, aber gerechtem Spott, der weder existenziell noch von politischer Korrektheit motiviert ist.

Die durchaus innovative Deutung, die Heideggers Denken in diesem Buch erfährt, soll hier nicht ausgebreitet werden – schon aus Platzgründen nicht. Doch muss ein Aspekt in den Vordergrund gerückt werden, der heute wohl geradezu exotisch anmutet:

Heideggers Denkwege

Der Denkweg von Heidegger verläuft dem Verfasser zufolge über vier Etappen, die er Vollzugswissenschaft, Seinstheorie, Seinsgeschichte und Seynsgeschick nennt. Alle in einem mehr oder weniger geheimen Dialog mit dem Christentum. Damit sollte Heidegger eine Theorie über Bewusstsein und Sprache verwirklicht haben, die nicht nur neu und revolutionierend, sondern auch einfach wahr ist.

Mit den alten Begriffen von Bewusstsein und Sprache verhält es sich gar nicht, wie es die heute dafür zuständigen Wissenschaften behaupten, sondern eben wie es in „Ich und Heidegger“ dargestellt wird.
Die Dänen gehören bekanntermaßen zu den glücklichsten Menschen der Welt. Dazu gehört, meint oft der Deutsche, ein gutes Stück Naivität. Muss man also vielleicht Däne sein, um die jeder philosophischen Grundregel spottende Unbefangenheit auszuüben, die wissenschaftliche Revolutionen aus philosophischer Erkenntnis ableitet? Wenn dem so ist, kann man nur begrüßen, dass es jetzt einen Heidegger mit dänischem Akzent gibt.

Das Buch kostet 39 Euro bei  Bücher Rüffer, Flensburg.

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