Literaturcafé
„Bücher machen glücklich, trösten, regen an und regen auf“
„Bücher machen glücklich, trösten, regen an und regen auf“
„Bücher machen glücklich, trösten, regen an und regen auf“
Annemarie Stoltenberg gab rund 70 Gästen anregende Lesetipps beim Literaturcafé in der Deutschen Zentralbücherei.
Annemarie Stoltenberg macht es anders. Werke, die auf der Short List des Deutschen Buchpreises standen, hat sie bewusst nicht mitgebracht. Auch nicht „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke, das den Preis schließlich gewann. Um ihrem Publikum im Literaturcafé der Deutschen Zentralbücherei Apenrade die Gründe dafür zu erläutern, machte sie einen Abstecher in ihre Kindheit.
Denn: Den Grundstock für Annemarie Stoltenbergs Leselust hat möglicherweise ihre Großmutter gelegt. Indem sie die Enkelin im Buchladen selbst aussuchen ließ, was diese lesen wollte. „Mich interessierte damals nicht das, was mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet worden war. Als Kind hasst man pädagogisch wertvolle Bücher“, versicherte die Hamburgerin. „Enid Blyton gefiel mir besser. Schließlich griff ich zu ,Pucki wird eine glückliche Braut’.“
Die gelernte Buchhändlerin, Autorin und studierte Literatur- und Sprachwissenschaftlerin hatte die rund 70 an Literatur Interessierten mit dieser persönlichen Schilderung eigentlich schon in der Tasche. Endgültig packte sie ihr Publikum, als sie von der Reaktion ihrer zweijährigen Enkelin erzählte, wenn dem Kind etwas vorgelesen wird. Dann fordert es – nachdem der letzte Satz verklungen ist: „Noch mal!“ „Und deshalb habe ich Ihnen Bücher mitgebracht, bei denen auch Sie mit ebenso viel Lebensfreude rufen sollen: Noch mal!“
Und es ist ihr wahrlich gelungen, die Zuhörer – darunter viele Stammgäste – an ihrer Lese-Leidenschaft teilhaben zu lassen. Spaß machten zudem die humorigen Anekdoten aus dem Literaturbetrieb, Zitate von Autoren und Details aus deren Biografien.
Schwer begeistert von der „Mittagsstunde“
Das erste Buch, das Annemarie Stoltenberg vorstellte, war das zweite von Dörte Hansen, „Mittagsstunde“, und es gefiel ihr noch besser als deren Debüt „Altes Land“. „Schwer begeistert“ ist sie von dem Roman, der in Nordfriesland spielt und „in dem das Dorf Brinkebüll an sich die Hauptfigur ist“. Die Autorin beschreibt darin 60 Jahre Entwicklung „des geschundenen Landes“, das zunehmend von Maisfeldern, Biogas- und Windkraftanlagen geprägt ist und an deren Ende das Verschwinden der bäuerlichen Welt steht. Von der Sprache ist Stoltenberg ebenso begeistert wie von den Personen im Buch. „Alle, die man kennenlernt, rücken einem näher.“
Im Gepäck hatte Stoltenberg zudem die Jubiläumsausgabe der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz. Das Buch, das erstmals vor 50 Jahren veröffentlicht wurde und „das die Literaturkritiker damals durch die Bank weg verrissen haben, hat der Verlag in ein Goldhochzeitskleid gehüllt mit goldenem Lesebändchen“. Für Annemarie Stoltenberg „schwere Kost, aber ein beglückendes Lektüre-Erlebnis“.
„Der Idiot des 21. Jahrhunderts“ von Michael Kleeberg erfordere Ruhe und Zeit, biete aber mit einem „absolut luziden Blick auf unsere heutige Zeit“ ein intensives Lese-Erlebnis.
„Wenn Sie Ihr Vokabular schleifen und auffüllen möchten, lesen Sie die Erzählungen ,Landpartie’ von Eduard von Keyserling.“ Spannung bis zum Schluss habe ihr Juli Zeh mit dem „geschickt inszenierten“ Roman „Neujahr“ geschenkt, die mit dem Buch das moderne Familienleben mit Mitteln der Literatur erkundet habe.
Als „hochintelligenten, blitzgescheiten und urkomischen Roman hat Stoltenberg „Hochdeutschland“ von Alexander Schimmelbusch erlebt. „Geballte Ladung neudeutsche Wirklichkeit, mit der der Autor beleuchtet, was los ist in unserem Land.“
Wer sich an das Thema Missbrauch herantraut, liest den Roman „Das Schweigekind“ von Gert Heidenreich. „Ich habe darüber noch nie mit solcher Tiefe und Würde gelesen“, versichert Stoltenberg. Und wer es „nur nett haben möchte in einem Buch“, der schnappt sich „Allmen und die Erotik“ von Martin Suter. „Das ist Erholung pur.“
„Bücher helfen ganz unterschiedlich“
Es gibt unter den neuen Büchern also viel zu entdecken und an der Einstellung Umberto Ecos nichts zu rütteln, den Stoltenberg zitierte: „Er hat einmal gesagt, es gebe ein paar Dinge, die man nicht verbessern kann: Eimer, Löffel, Buch’.“ Was sich schließlich mit ihrer Sichtweise deckt: „Bücher machen glücklich, sie trösten, regen an, regen auf, begleiten – sie helfen ganz unterschiedlich. Ich kann sie lesen, wo ich möchte, ohne dass mir jemand über die Schulter schaut und fragt, ob ich etwas Ähnliches bestellen möchte.“ Wie es eben im Internet der Fall ist. „Bücher sind ein kostbarer Besitz.“
„Sie geht sehr achtsam mit Worten und Autoren um“
Dass der Applaus nach Annemarie Stoltenbergs Schlusswort lange anhielt, mag daran liegen, dass viele Zuhörer ähnlich empfanden wie Brigitte Handler. „Sie berührt mit dem, was sie über die Bücher erzählt, und sie geht sehr achtsam mit Worten und mit den Autoren um“, sagt die 66-jährige ehemalige Sozial- und Heilpädagogin. „Ich habe ihre Buchvorstellungen noch nicht einmal versäumt – und möchte das auch auf keinen Fall.“
Übrigens: Für den deutschen Buß- und Bettag am 20. November 2019 hat die Hamburgerin den Termin gleich am Mittwochabend in ihrem Kalender notiert. Im nächsten Jahr kommt sie dann bereits zum 17. Mal nach Apenrade.