Interview

Viktor Nilsson: „Ich mag es, schräge Vögel zu spielen“

Viktor Nilsson: „Ich mag es, schräge Vögel zu spielen“

Viktor Nilsson: „Ich mag es, schräge Vögel zu spielen“

Apenrade/Berlin
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Viktor Nilsson
Der in Sonderburg geborene Viktor Nilsson lebt als Schauspieler in Berlin. Foto: Karin Riggelsen

„Sterben ist relativ einfach“: Der Schauspieler Viktor Nilsson kennt keine Angst vor Peinlichkeiten und spricht über seinen Weg vom Deutschen Gymnasium für Nordschleswig ins deutsche Fernsehen.

Die Theater-AG am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig war wohl für keine Schülerin und keinen Schüler so wichtig wie für Viktor Nilsson. Auf der dortigen Bühne entdeckte er sein Talent für die Schauspielerei. Diese Begabung wusste auch die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin zu schätzen und gab Viktor Nilsson einen der begehrten Ausbildungsplätze. Mittlerweile ist der 25-Jährige aus Lundtoft freier Schauspieler in der deutschen Hauptstadt.

Viktor Nilsson Foto: Karin Riggelsen

Viktor, wie fühlt es sich eigentlich an, ermordet zu werden? In einer Folge von „Polizeiruf 110“ hast du genau das ja erlebt, wenn man es so ausdrücken darf.

Sterben ist relativ einfach. Ein bisschen zucken und röcheln, und die Leute kaufen dir das ab. Schade war, dass ich nur an einem Drehtag dabei war und der Junkie, den ich gespielt habe, nur eine halbe Minute zu sehen war.

Bis du diese Fernseh-Rolle bekamst, ist ja viel passiert. Du hattest auch schon eine Rolle in der RTL-Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

Ja, da habe ich einen Influencer gespielt, der eine Diva ist und Leute dreckig behandelt.

Welche Rolle hatte die Theater-AG des DGN für dein Leben als Schauspieler? Dort hattest du ja vor allem die Hauptrollen?

Die Theater-AG hat mich richtig gepusht. Ob ich den Frauenmörder Blaubart oder den gescheiterten Schlagersänger Bruno gespielt habe – dort habe ich gemerkt, da geht noch mehr. Im Laufe der Zeit am Gymnasium hat sich die Gewissheit verstärkt, dass die Schauspielerei mein Weg ist. Mein einziger Weg!

Von deinem Talent, deinem Einsatz und deiner Kreativität war ja auch der Leiter der Theater-AG, Jürgen Schultze, begeistert. Er sagt, wenn du dich für eine Rolle nackt ausziehen und im Schlamm wälzen müsstest, würdest du das sofort tun. Stimmt das?

Ja, denn Angst vor Peinlichkeiten habe ich nicht. Auch keine Hemmungen.

Viktor Nilsson
Der junge Schauspieler Viktor Nilsson hat viele Gesichter. Foto: Karin Riggelsen

Hast du vor dem DGN schon Theater gespielt?

Nein. Es sei denn, meine erste Hauptrolle als Kind vor meinen Großeltern zählt mit. Da war ich ein klappriger Bettler (Viktor verfällt beim Erzählen in zittrige Bewegungen, und seine Mimik spiegelt Bedürftigkeit), der von ihnen Geld einsammelt.

Von 2014 bis 2018 hast du in Berlin die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch besucht. Was hast du dort gelernt?

Szenisches Spielen, also Theaterszenen und Monologe, Singen, Sport – dazu gehörten auch Fechten, Akrobatik, Tanz und Yoga – und natürlich Sprech-Erziehung. Aber das Spielen selbst war immer das Beste.

Hattest du eine Vorstellung davon, wie schwer es ist, dort aufgenommen zu werden? Als du dich 2014 beworben hast, haben von 1.500 Bewerbern gerade mal 26 einen positiven Bescheid bekommen.

Mir war nicht wirklich klar, wie schwer das ist. Ich bin einfach hingegangen. Es gab zwei Bewerbungsrunden. Bei der ersten sollte ich zwei selbst gewählte Szenen spielen. Da habe ich mich für den Frauenmörder Blaubart und den Schlagersänger Bruno entschieden. Bei der zweiten Runde war die Rolle vorgegeben: Das war Romeo.

Was fasziniert dich daran, eine andere Rolle zu spielen? In die Haut eines anderen zu schlüpfen?

Als Schauspieler kann man Dinge ausprobieren, die man sich im realen Leben nie trauen würde – Leute anschreien, sie zur Sau machen, Sachen kaputtmachen. Außerdem kann ich die feminine Seite und die dunkle Seite in mir ausleben, ohne ein gestörter Typ zu sein. Das ist totale Freiheit.

Ich hatte schon immer einen Hang zum Morbiden. Also, ich lasse auch dunkle Gedanken zu, stelle mir vor, wie ich als Mörder wäre. Und ich mag es, schräge Vögel zu spielen, die Loser der Gesellschaft. In der Rolle kann ich mich leicht wiederfinden, in den Typen, die zugleich etwas Komisches, Trauriges und Verlorenes haben. Da trauen sich viele Leute nicht ran.

Und dann ist Applaus eine wunderbare Belohnung. Es fühlt sich sehr gut an, wenn die Leute begeistert sind, weil sie mitgenommen wurden.

Viktor Nilsson
Viktor Nilsson Foto: Karin Riggelsen

Was war bisher deine intensivste Rolle?

Der Joop in meinem Absolventen-Vorspiel, also in meiner Abschlussarbeit an der Schauspielschule. Joop pflegt seine demente alte Mutter und übernimmt mehr und mehr ihre Rolle und ihre Persönlichkeit. Das Stück heißt „Du bist meine Mutter“, und ich habe beide Personen parallel gespielt.

Klingt nach Eindringlichkeit und Gänsehaut.

Ja, das war es auch. Ein Dozent war auf mich zugekommen und hatte gesagt: Ich habe genau das Richtige für dich. Er hatte recht.

Nach der Ausbildung hast du ja auch Theater gespielt.

Ja, zum Beispiel den Webster in „Shakespeare in Love“ bei den Klingenburg-Festspielen in Bayern und die Hauptrolle in „Tschik“, in der Adaption des Jugendromans von Wolfgang Herrendorf.

Ist dir Lampenfieber vertraut?

Ja – und ich genieße es. Das Adrenalin gibt mir ganz viel Energie und einen extremen Spieltrieb.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf deine Arbeit ausgewirkt? Vieles hat ja leider nicht stattgefunden oder ist auf das nächste Jahr verschoben worden. Etwa die Störtebeker-Festspiele auf Rügen. Dort habe ich für 2021 eine der Hauptrollen bekommen: Störtebekers Gegenpart – den Bösewicht. Es ist die größte Freilichtbühne Europas, und deshalb muss man als Schauspieler auch in der 30. Reihe noch präsent sein. Bei der Bewerbung musste ich übrigens nicht vorsprechen, sondern vorreiten. Piraten und Bösewichte habe ich als Kind schon gern gespielt.

Was machst du, wenn du gerade kein Engagement hast?

Ich habe beispielsweise in der Corona-Zeit zwei Kurzfilme gemacht: In „See me in the Water“ von einem portugiesischen Regisseur, spiele ich einen einsamen Typen, der von seiner weiblichen Seite träumt. Das ist mehr Kunst als eine klare Geschichte. Der Film läuft am 11. September in Berlin auf dem Commercial-Festival. Er ist demnächst auch auf meinem Instagram-Account unter „vikorpnilsson“ zu sehen.

Den anderen Film habe ich mit meinem besten Freund selbst geschrieben und produziert. Er heißt „Escape Control“ und spielt sozusagen in der nahen Zukunft. Ich bin ein Antifa-Aktivist, und mein Bruder arbeitet beim Sicherheitsdienst eines Staates, der alles überwacht. Unsere Mutter wird vom System in Quarantäne gehalten. Ich trickse den Bruder aus, hacke das System und befreie die Mutter. Das erscheint im Herbst auf Instagram.

Viktor Nilsson
Viktor Nilsson Foto: Karin Riggelsen

Hat Berlin dich verändert?

Ja! Großstadtleben härtet ab. Die behütete Zeit ist vorbei. In Berlin kommt es schon mal vor, dass man zwei Nächte hintereinander nicht schläft. Und dort lerne ich Leute kennen, die so ticken wie ich selbst.

Berlin hat mir mehr Lockerheit und Selbstbewusstsein gegeben – aber auch die Sehnsucht nach dem ländlichen Leben. Und ich musste lernen, mich zu strukturieren und mit Leerlauf umzugehen.

Was wünschst du dir für die nächste Zeit? Außer vielleicht, beim Dreh oder auf der Bühne nicht so schnell ermordet zu werden. Gibt es eine Traumrolle, die du gern hättest?

Innerhalb der nächsten fünf Jahre hätte ich am liebsten eine feste Stelle an einem großen Theater. Oder eine große Rolle in einem richtigen Spielfilm. Und am liebsten würde ich beides machen, Schauspiel und Film.

Das Filmgeschäft ist ungeheuer hart. Dort gibt es viel mehr Konkurrenz als im Theater. Um bekannt zu werden, muss man hart arbeiten, man braucht Glück und muss sich bewerben und bewerben und bewerben.

Nach dem Abschluss an der Schauspielschule hätte ich an der Landesbühne Detmold arbeiten können. Aber das war mir zu ländlich. Nun bin ich freier Schauspieler in Berlin und hangele mich von Projekt zu Projekt.

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Anna-Lena Holm
Anna-Lena Holm Hauptredaktion
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