FUEN-Kongress 2021

„Wir sind keine Separatisten“

„Wir sind keine Separatisten“

„Wir sind keine Separatisten“

Triest/Trieste/Trst
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Gösta Toft, Bahne Bahnsen
Gösta Toft (l.) und Bahne Bahnsen Foto: Cornelius von Tiedemann

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Minderheiten-Gipfel in Triest: Was können wir im Grenzland von anderen lernen, warum sind die Katalanen kein Vorbild, und weshalb ist es eine schlechte Idee, sich statt Minderheit in Zukunft Gemeinschaft zu nennen? Ein kurzes Gespräch mit zwei Vize-Präsidenten der FUEN.

Was macht ihr denn hier?

Bahne Bahnsen und Gösta Toft sind aus dem deutsch-dänischen Grenzland nach Italien gereist, um als Vizepräsidenten der FUEN den größten Minderheitenkongress Europas mitzugestalten. Am Rande des Treffens haben sie sich kurz Zeit genommen, um dem „Nordschleswiger“ einige Fragen zu den Minderheiten in Europa und ihrem Treffen zu beantworten.

Zur Person:

Gösta Toft, ehemaliger Sekretär der Schleswigschen Partei und Vorsitzender des Sozialdienstes Nordschleswig, Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN), deutsche Minderheit in Dänemark.

Bahne Bahnsen, Vorsitzender Friisk Foriining, dem Verband der Nordfriesen in Deutschland.

Beide gehören dem Präsidium der FUEN (Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten) an.

Der Bürgermeister von Triest hat in seiner Rede hier betont, wie vielfältig Stadt und Region seien und dass er es vorziehe, von den Slowenen hier als „Gemeinschaft“ zu sprechen, anstatt sie als „Minderheit“ zu bezeichnen. Andere Redner aus der Region haben sich dem angeschlossen. Wie wär's, sollten wir in Zukunf auch von der „deutschen Gemeinschaft“ in Dänemark sprechen oder von der „friesischen Gemeinschaft“ in Deutschland?

Gösta Toft: Das Wort „Gemeinschaft“ ist gut und zeigt, dass man zusammen etwas machen will. Aber ich finde es nicht sehr präzise für eine Minderheit. Ich bevorzuge den Begriff „Minderheit“, weil es unsere Situation besser kennzeichnet. „Nationale Minderheit“ präzisiert noch einmal, was wir im Verhältnis zu vielem anderen sind. Aber die Grönländer oder die Menschen auf den Färöern wollen zum Beispiel natürlich nicht als „Minderheit“ bezeichnet werden, haben aber ganz ähnliche Probleme wie wir auch, rein sprachlich zum Beispiel. Für die würde der Begriff die Zusammenarbeit mit den Minderheiten öffnen, aber es würde gleichzeitig auch alles ein wenig verwässern.

Bahne Bahnsen: Beides ist gut. Ich ziehe es immer vor, gemeinsam in einer Gemeinschaft zu sein. Aber wenn du da hineindeuten willst, dass Minderheit gleich Separatismus ist, also dass wir uns selbst genug sind – das haben wir Friesen nie gemacht. Wir arbeiten auch dicht mit der dänischen Minderheit in Deutschland, mit der deutschen Minderheit in Dänemark oder mit den Roma und Sinti zusammen. Wir waren uns nie selbst genug, und ich finde es wichtig, dass wir das nicht sind. Ich habe viel von anderen gelernt, und wir haben viel Erfolg dadurch, dass wir mit anderen Minderheiten zusammenarbeiten.

FUEN-Kongress 2021

Im italienischen Triest sind seit Donnerstag rund 140 Vertreterinnen und Vertreter von nationalen Minderheiten in ganz Europa zusammengekommen, um auf dem Kongress der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) gemeinsame Politik zu beschließen, Erfahrungen auszutauschen und Solidarität zu demonstrieren. Eingeladen hat dieses Mal die slowenische Minderheit in der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien.

Allein in der EU sollen rund 50 bis 60 Millionen Menschen nationalen Minderheiten angehören. In der FUEN sind über die EU hinaus 106 Organisationen vom gesamten europäischen Kontinent versammelt, von den Russen in Estland bis zur molisisch-kroatischen Minderheit im südlichen Italien, von den Bretonen im Westen Frankreichs bis zu den Deutschen in Kirgistan.

Apropos Zusammenarbeit: Können eigentlich die vielen anderen Minderheiten in Europa, die sich jetzt hier zum FUEN-Kongress versammelt haben, nur von uns im deutsch-dänischen Grenzland lernen, oder geht es auch andersherum?

Bahne Bahnsen: Wir Friesen haben sehr viel, sind ein Teil der Verfassung in Schleswig-Holstein, haben ein Forschungsinstitut und so weiter. Aber unsere Sprache gleitet uns weg. Die Leute sprechen die Mehrheitssprache, und es werden immer weniger Menschen, die Friesisch sprechen. Und das Problem haben wir gemeinsam mit fast allen Minderheiten, auch mit den Slowenen in Italien. Da ist eben der Knackpunkt, wie wir da weiterkommen, was machen wir da.

Gösta Toft: Man muss wirklich europaweit gucken, welche Beispiele man aufgreifen will. Vieles kann von uns gelernt werden, aber wenn wir herausblicken, können wir genauso viel lernen. Da gibt es viele Sachen, wo man ganz greifbar lernen kann. Und wenn man sich in Zukunft eine Minderheit wünscht, dann muss man heute die Weichen dafür stellen. Dann darf man nicht abwarten.

Das haben die Slowenen hier erkannt, und das können wir auch bei uns gebrauchen. Wir wissen, dass es immer wieder Strukturänderungen gibt, und da dürfen wir nicht warten. Bei uns kommen jetzt viele Deutsche dazu. Und das Problem der slowenischen Minderheit hier, dass die jungen Leute nicht zurückkommen, das kennen wir doch auch.

Gösta, als ehemaliger Parteisekretär: Was hältst du davon, dass die Slowenen hier sich wünschen, einen festen Parlamentsvertreter zu haben, der dann, im Zuge der allgemeinen Parlamentswahl, von den Angehörigen der Minderheit unter mehreren Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt wird? Hier argumentieren sie, dass dies gut wäre, damit die Minderheiten sich nicht in ideologische Zwickmühlen begeben müssen, wenn sie parteipolitisch mit den Mehrheitsparteien konkurrieren oder Bündnisse eingehen.

Ich halte das nicht für richtig, mir ist es lieber, dass man demokratisch teilnimmt, und dann kann es Sonderregeln geben, die die Minderheiten entlasten. So wie wir zum Beispiel in Dänemark keine bestimmte Zahl an Unterschriften einreichen müssen, um für Wahlen zugelassen zu werden, wie es andere Parteien müssen. Wenn man die sonstigen Voraussetzungen erfüllt und ein ausreichendes Wahlergebnis erhält, bekommt man ein allgemein politisches Mandat.

Alles andere, wenn man kein vollgültiges Mandat hat, sondern eine Sonderregelung gewählt wurde, wirft doch die Frage auf: Darf man sich dann zu allen Themen äußern oder nur zu Minderheitenthemen?

Ich finde das kompliziert und schwierig in einer Demokratie. Bei der Kommunalreform damals haben wir ja gesagt, dass wir keinen garantierten Sitz wollen, sondern einen Sitz, der auf tatsächlichen Stimmen beruht, und damit fahren wir eigentlich ganz gut.

Weil die Sitze in den Parlamenten so mehrheitlich legitimiert sind. Apropos Mehrheit: In vielen Regionen Europas gibt es ja Minderheiten, die keine Titularnation (engl.: kin-state) haben. Ein Beispiel sind die Friesen, es gibt keinen Staat Friesland. Ein anderes Beispiel sind die Katalanen in Spanien. Warum sind die und einige andere Minderheiten Westeuropas eigentlich nicht hier?

Gösta Toft: Nach '89 gab es eine Orientierung der FUEN in Richtung Osten, und der Schwerpunkt in Richtung Westen ist etwas weggefallen, deshalb fehlen jetzt einige von denen. Wir bemühen uns jetzt aber gerade darum, das wieder wettzumachen. Wir machen bald eine Veranstaltung in Helsinki, ein regionales Forum, das die Minderheiten miteinbeziehen soll. Und eine der größeren Organisationen aus Irland wird jetzt auch als Fördermitglied mitmachen.

Bahne Bahnsen: Die Sprachorganisation der Katalanen ist bei uns ja auch mit dabei, arbeitet mit, wenn es um Sprachrevitalisierung geht, um Aussterben von Sprache und Stärkung von Sprachkulturen und so weiter. Aber die politischen Führer der Katalanen, die sind nicht mit dabei, und das ist auch gut. Ich leite die Arbeitsgemeinschaft für die Non-kin-state-Minderheiten in Europa, und da geht die Debatte immer über Separatismus und Integration. Da muss ich sagen, dass wir ganz klar darstellen wollen, dass wir in der FUEN keine Separatisten sind. In unserer Non-kin-state-Minderheitenarbeit arbeiten wir für Freiräume der kleinen Minderheiten, die keinen Staat haben und für Autonomie, aber nicht für Separatismus und eigene Staaten und so weiter. Da sind die Katalanen eben auf einer anderen Schiene als wir.

 

 

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