Flucht und Einwanderung

„Es ist schwer, sich gegen die Verbitterung zu wehren“

„Es ist schwer, sich gegen die Verbitterung zu wehren“

„Es ist schwer, sich gegen die Verbitterung zu wehren“

Jon Thulstrup
Jon Thulstrup
Lesbos
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Die Berge an Schwimmwesten, der lifejacket-graveyard, im Norden der Insel Lesbos. Foto: Privat

Matthias Heinecke unterstützte sieben Wochen lang die humanitäre Hilfe in einem Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos. Er erzählt vom Alltag im Camp Moria und warum er sich für den Arbeitsaufenthalt entschied.

Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Studenten ihre Semesterferien verbringen. Einige sammeln Kraft für das kommende Semester, während andere ihr Portemonnaie durch Arbeit auffüllen. Matthias Heinecke, Theologiestudent an der Uni Leipzig und ehemaliger Abiturient des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig in Apenrade, hat sich anders entschieden. Ihn zog es auf die griechische Insel Lesbos – inmitten der noch hochaktuellen Flüchtlingskrise. Während an der deutsch-dänischen Grenze längst keine Flüchtlinge mehr ankommen, sieht der Alltag im Mittelmeer anders aus, unterstreicht er. Mit seinem Beitrag wolle er den Menschen im Flüchtlingscamp helfen und sich selbst ein Bild von der Krise machen. „In den Medien wird ja nicht mehr so viel darüber berichtet“, so Heinecke.

„Ich wollte wissen, wie die Flüchtlingskrise im Detail aussieht. Man geht zu Hause ja davon aus, dass dieses Problem gelöst ist. Zudem sehe ich – als ein in vielerlei Hinsicht wohlhabender Student, der zwei Monate Semesterferien hat – das auch als meine Pflicht zu helfen“, so der 22-Jährige. Motiviert habe ihn der Gedanke, dort anzupacken, wo es anderen schlecht geht. Er wollte etwas Praktisches gegen das Leid unternehmen. Also bot er seine Hilfe einer Hilfsorganisation direkt vor Ort an und flog im Februar gen Süden.

Lesbos liegt östlich des griechischen Festlandes, unweit der Türkei. Das Camp Moria, in dem Heinecke gearbeitet hat, ist eine alte Militärbasis – umzäunt von Nato-Draht.
Für Heinecke und die anderen Freiwilligen in diesem Camp begann die tägliche Arbeit um 8 Uhr morgens. „Wir wurden dann in zwei Teams aufgeteilt. Insbesondere die Instandhaltung der sanitären Anlagen war eine unserer Hauptarbeiten. Weil auf so begrenztem Raum viel zu viele Menschen zusammengepfercht untergebracht sind, müssen diese Anlagen wegen der intensiven Nutzung gut instand gehalten werden“, erklärt Heinecke. Reparaturen an den im Camp zu wenig vorhandenen Toiletten, Duschen und Wascharealen gehörten unter anderem am Vormittag zu den täglichen Arbeiten.

Flüchtlinge bauen neben dem überfüllten Camp ihre eigenen Zelte im sogenannten „Oliven-Garten“. Foto: Privat

Größere Bauprojekte

Am Nachmittag standen dann größere Bauprojekte auf dem Programm. Insgesamt habe ihm die Arbeit viel Freude bereitet. „Es ist eine erfüllende Arbeit. Die Menschen sind dankbar und zeigen das auch gerne, zum Beispiel durch eine Einladung zu süßem Tee – unsere Arbeit hier wird wertgeschätzt. Dann freut man sich, dass man diesen elenden Ort für die betroffenen Camp-Bewohner ein klein wenig verschönern kann“, betont Heinecke.

Eines der größeren Projekte war der Bau einer Abflussanlage für schmutziges Regenwasser. „Das Camp liegt an einem Hang. Und weil der Boden zum Teil aus Lehm besteht, lief das dreckige Regenwasser in und durch die mit Europaletten selbst erbauten Zelte der Camp-Bewohner den Hang hinab“, so Heinecke. „Aber jeder Tag ist anders und bringt neue Aufgaben, die es zu lösen gilt“, fährt er fort.

Alles in allem sei das Camp in einem sehr schlechten Zustand. „Die Container, Baracken und Zelte sind stark in Mitleidenschaft gezogen durch die Dauerbelastung. Selbst das wenige Hab und Gut der Flüchtlinge kann nicht geschützt werden, weil verschließbare Türen fehlen.“

Matthias Heinecke beim Bau einer Abflussanlage Foto: Privat

Berg an Schwimmwesten

Dass noch wöchentlich Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak oder aus Syrien von der Türkei aus mit Gummibooten ankommen, zeigt Heinecke zufolge unter anderem der riesige Berg an Schwimmwesten, der sich Woche für Woche im Norden von Lesbos anhäuft. „In meiner Zeit kamen pro Woche 150 bis 250 Menschen auf der Insel an“, sagt er. Das Camp ist für rund 3.000 Bewohner gebaut. „Doch zeitweise waren dort 5.500 Menschen versammelt. Letzten Sommer wurden sogar schon um die 9.000 Personen im Camp untergebracht“, unterstreicht Heinecke. Die Flüchtlinge bleiben dann in der Regel drei Monate im Camp auf Lesbos. „Doch es gibt Fälle, in denen Personen über ein Jahr dort ausharren mussten“, erklärt er. „Häufig sind die Menschen durch Krieg traumatisiert, und unter den herrschenden Bedingungen in Moria kann sich niemand davon auch nur ein Stück weit erholen.“

Im Camp wohnen Flüchtlinge teils mit 30 Personen in einer 30 Quadratmeter großen Baracke. „Es riecht übel, es ist feucht, und auf dem Boden laufen Küchenschaben – das sind menschenunwürdige Verhältnisse. Dazwischen spielen Kinder im Dreck. Und das soll Europa sein? – kaum vorstellbar“, schüttelt er den Kopf. Er ist aber überrascht, dass die Kinder trotz ihrer dreckigen Kleidung und ihrer kaputten Schuhe fröhlich sind: „Sie schauen uns bei der Arbeit zu, erzählen uns irgendwas auf Farsi, was wir nicht verstehen, oder versuchen spielend an unser Werkzeug zu gelangen und grinsen breit. Dann sieht man manchmal leider ihre teilweise verfaulten Zähnchen. Das macht einen dann traurig“, so Heinecke und ergänzt: „Man denkt ständig daran, dass so etwas in unserer wohlhabenden Welt nicht sein muss. Warum tun wir nicht mehr, um diesen Menschen, die vor furchtbarem Krieg und ständiger Gefahr fliehen, Schutz zu geben?“

Der Aufenthalt auf Lesbos habe ihm insbesondere einen neuen Blick auf sein Leben ermöglicht. „Es ist unfassbar, wie viele Möglichkeiten ich habe und hatte, die einige dieser Kinder nie haben werden“, so der Theologiestudent. „Europa ist leider weit weg von dem, was dort passiert. Es ist schwer, sich gegen die Verbitterung zu wehren.“

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