Ehrenamt
Hilferuf der gelben Raben
Hilferuf der gelben Raben
Hilferuf der gelben Raben
Sie sind die Wächter über Ruhe und Ordnung in der Nacht, nehmen Kinder und Jugendliche unter ihre Fittiche, wenn die Kids in Disco-Laune in der Altstadt die Kuh fliegen lassen. Jetzt rufen „Natteravnene“, die Nachtraben von Hadersleben, selbst um Hilfe.
Freitagabends steppt in der Haderslebener Innenstadt der Bär. Dort lassen es Kinder und Jugendliche bis in die frühen Morgenstunden ordentlich krachen. Dass sie dies wohlbehütet tun können, dafür sorgen die Nachtraben, „Natteravnene“. Es sind ehrenamtlich engagierte Bürger, die sich ihre Freitagnächte um die Ohren schlagen, damit junge Leute unbekümmert in den Morgen feiern können.
Nachwuchs macht sich rar
Einer von ihnen ist Brian Gerlach. Seit Jahren engagiert sich der pensionierte Direktor bei den Raben. Jetzt sind die Ehrenamtlichen ihrerseits auf Beistand angewiesen: Sie sind auf der Suche nach weiteren Mitstreitern, um ihre freitägliche Bereitschaft aufrechterhalten zu können, denn im Laufe der Jahre haben viele ehrenamtlich tätige Raben das Nest verlassen, während sich der Nachwuchs rar macht.
„Geht das so weiter, können wir die notwendige Bereitschaft nicht länger bemannen“, sagt Gerlach. Der 66-Jährige ist Vorstandsmitglied von „Natteravnene“ in Hadersleben. Auf der Generalversammlung im März ist es ihnen nicht gelungen, neue Kräfte für den Vorstand zu gewinnen – und altgediente Kräfte wünschen keine Wiederwahl. Aufgrund der Corona-Krise vertagten die Raben ihre Jahresversammlung. Am 9. September findet eine außerordentliche Versammlung statt. Ein letzter Versuch. Sollte es bis dahin nicht gelingen, neue Kräfte zu mobilisieren, droht den Nachtraben der Domstadt das Aus.
„Wir werden gebraucht“
„Doch wir werden gebraucht“, betont Gerlach. „Ich möchte nicht behaupten, dass dank unseres Einsatzes Vergewaltigungen verhindert worden sind, doch eines ist gewiss: Wir sorgen dafür, dass Kinder und Jugendliche freitagnachts sicher sind. Genau darum geht es: um Geborgenheit.“
Auf Charmeoffensive durch die Altstadt
Der Fokus der Raben ruht auf ganz jungen Menschen, auf den 12- bis 16-Jährigen. Ihr Sicherheitsnetz fängt die Teenager dort auf, wo deren Eltern loslassen, wenn die Nachtraben von Mitternacht bis 4 Uhr morgens das Haderslebener Disco- und Vergnügungsviertel sicherer machen. Auch an den beiden kommenden Freitagen begeben sich Gerlach und seine Mitstreiter wieder auf Charmeoffensive, wegen der Corona-Situation allerdings nur bis Mitternacht, um die Werbetrommel für die Raben zu rühren.
Auf ihren nächtlichen Zügen begegnet den Raben bei ihren Schützlingen das ganze Register der Gefühle: Verzweiflung, das Gefühl, nicht geliebt zu werden, Jugendliche, die sich besinnungslos betrinken und kiffen – und anschließend nicht wissen, ob sie in Assens oder Esbjerg zu Hause sind.
Herzerwärmend
„Aber 99 Prozent unserer Erlebnisse sind positiv“, betont Gerlach. Dies klarzustellen, ist ihm wichtig: „Die jungen Leute geben uns so viel. Es wärmt mir jedes Mal das Herz, wenn ich nach Hause komme.“
Entgegen der landläufigen Auffassung leben die Raben keineswegs gefährlich: „Wir mischen uns nicht ein, gehen nicht in die Diskothek.“ Ausschreitungen zu begegnen und Drogenhandel zu unterbinden, dies sei Sache der Polizei.
„Wir sorgen mit unserer Anwesenheit dafür, dass sich die jungen Leute geborgen fühlen.“
Dafür sind diese dankbar. Und nicht nur sie. Auch seitens vieler Eltern schlägt den Raben Dankbarkeit entgegen.
Jede Krone hilft
Nur: Es braucht mehr als Worte, die freitägliche Bereitschaft aufrechterhalten zu können. Bislang investieren die Raben mehr als ihre Freizeit: Zwar bekommen sie ihre gelben Jacken von der Mutterorganisation und 12.000 Kronen jährlich von der Kommune für Veranstaltungen, den Rest aber zahlen die Raben aus eigener Tasche.
Gerlach hofft daher, unter den Gewerbetreibenden und Unternehmen Sponsoren zu finden. Jede Krone hilft. Im August gehen die Raben in die Schulen, um dort die 7. und 8. Klassen zu besuchen und von ihrer Arbeit zu erzählen.
Was die Zukunft bringt? Brian Gerlach, selbst Großvater, weiß es nicht.
„Doch ich hoffe, dass wir auch weiterhin das tun können, was uns am Herzen liegt.“