Interview

„Wir sind alle ein ganz klein bisschen deutsch“

„Wir sind alle ein ganz klein bisschen deutsch“

„Wir sind alle ein ganz klein bisschen deutsch“

Hadersleben/Haderslev
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Ulla Fasting hat vor fast einem Jahr ihren ersten Roman veröffentlicht. Der Nachfolger erscheint in den kommenden Monaten. Foto: Ute Levisen

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Ulla Fasting könnte viele Geschichten erzählen und damit Bände füllen. Genau dies tut sie. Vorläufig hat die 79-jährige Landwirtin, Krankenschwester und Gesundheitsexpertin neben Fachbüchern einen Familienroman geschrieben: „Som boblerne i bækken“ heißt ihr belletristisches Erstlingswerk, und das zweite folgt sogleich.

Leo Tolstoi gehöre zu ihren Lieblingsautoren, sagt Ulla Fasting: „Mich fasziniert seine opulente Personengalerie.“ Eine üppige Personengalerie bevölkert auch Ulla Fastings ersten Roman „Som boblerne i bækken“.

Ein Faible für Geschichte

„Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert, nicht zuletzt für die Geschichte meiner Familie“, verrät die Autorin.
 Für ihren Roman, frei erzählt nach der Geschichte ihrer Vorfahren, kann sie auf zahlreiche interessante, historische Persönlichkeiten zurückgreifen. Darin lernen wir unter anderem Mine und Augusta kennen, die in Borbjerg auf einem Pfarrhof die landesweit erste Hochschule für junge Frauen gründeten. Etwa zehn Jahre sei die Schule in Betrieb gewesen, hat Ulla Fasting bei ihren Recherchen erfahren.

 

Ulla Fasting nimmt in ihrem belletristischen Erstlingswerk die eigene Familiengeschichte unter die Lupe. Foto: Ute Levisen

Porträt starker Frauenpersönlichkeiten

In ihrem Familienroman verhilft Ulla Fasting gestandenen Persönlichkeiten, Männern und Frauen aus ihrer Ahnengalerie, zu einer Renaissance. Elise beispielsweise, der geschäftstüchtigen Meieristin aus Eckernförde. Die Heldinnen und Helden ihres Romans steigen auf wie Luftblasen aus einem Bach, um kurz darauf zu verpuffen. Daher der Titel des Buches.
„Starke Frauenpersönlichkeiten hatten damals schon einen enormen Einfluss auf die Männer ihrer Zeit. In den Annalen der Geschichte erscheinen sie lediglich als Randbemerkung.“

Erinnerungen an Hadersleben

Die ersten neun Jahre ihres Lebens hat die Autorin, die heute mit ihrem Mann in Risskov lebt, in Hadersleben verbracht. Sie erinnere sich noch an die Schlachterei am Graben, erzählt sie – und an das Karussell, in dem sie begeistert mit ihrer schon damals recht betagten Uroma so manche Runde drehte.

Sie habe sich schon immer sehr für Geschichte interessiert, nicht zuletzt für die Geschichte des Grenzlandes, sagt Ulla Fasting in einem Interview mit dem „Nordschleswiger“. Foto: Ute Levisen

Das dänische Trauma

In ihrem Roman arbeitet Ulla Fasting das große Trauma, Dänemarks Niederlage im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864, anhand der eigenen Familiengeschichte auf. Das Buch erschien bereits im Herbst des Vorjahres, doch wegen der Corona-Pandemie hatte die Autorin ihre Lesungen verschieben müssen.
 Gut zehn Jahre hat sie an ihrem Erstlingswerk gearbeitet. Aber damals habe sie auch noch jede Menge andere Eisen im Feuer gehabt. Sie repräsentierte die Radikale Venstre im Regionsrat Mitteljütland: „Als einzige Repräsentantin meiner Partei war ich damit ganz gut beschäftigt“, sagt sie.

„Wundfieber“

Ihr zweites Buch, die Fortsetzung der Familiengeschichte, hat Ulla Fasting dafür im Rekordtempo geschrieben. Ende des Jahres, hofft sie, wird es fertig sein. Es endet mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

So viel sei bereits verraten: „Sårfeber“ – „Wundfieber“ lautet der Titel der Fortsetzung, wobei Wundfieber Ausdruck des posttraumatischen Stresses ist: „Der Krieg von 1864 hat nicht nur körperliche Wunden, sondern vor allem Narben auf der Seele hinterlassen“, sagt die Autorin. Herman Bang, ein Freund ihrer Vorfahren, habe diesen Begriff in seinem Roman „Tine“ geprägt.

Ulla Fasting verfügt über ein breit gefächertes Fachwissen, das ihr als Romanautorin zugutekommt. Foto: Ute Levisen

In Krisenregionen im Einsatz

Auch mit Krieg und Zerstörung hat Ulla Fasting im Laufe ihres breit gefächerten Berufslebens so ihre Erfahrungen gemacht. Sie war in Krisenregionen in Mali, Afghanistan und im Irak für Hilfsorganisationen und das Dänisch-Afghanische Komitee in beratender Funktion im Einsatz.

Im Kosovo half sie nach dem Bürgerkrieg bei der Ausbildung von Krankenschwestern. Die serbischen Machthaber hatten die Ausbildungsstätten während des Krieges geschlossen. „Der Alltag von Menschen in Krisenregionen“, sagt sie, „setzt unsere Nabelschau hierzulande in eine ernüchternde Perspektive.“

Politikerin, Mutter, Gesundheitsexpertin

Ulla Fasting wurde als Tochter eines Arztes in Hadersleben geboren. Ihr Leben ist geprägt von der Fürsorge für andere Menschen. Nach der Krankenschwesterausbildung machte sie im schwedischen Göteborg ihren Master im Studiengang „Public Health“. Als Mitglied im Ethischen Rat bezog sie Stellung zu wichtigen Fragen unserer Zeit. Selbst im Rentenalter ist sie weiterhin als Dozentin gefragt, jüngst an der Universität Aarhus im Studiengang Medizin, wo sie einen Workshop in „Dannelse“ (Bildung) leitete.

 

Zugleich ist Ulla Fasting Mutter von vier Kindern, die wie sie selbst über die Landesgrenzen hinaus beruflich aktiv sind. „Mein Schwiegersohn ist Deutsch-Japaner aus Hamburg, und meine Enkelkinder besuchen die deutsch-dänische Sankt-Petri-Schule in Kopenhagen“, erzählt sie und fügt lachend hinzu: „Wir sind alle ein ganz klein wenig deutsch, aber das macht nichts.“

„Som boblerne i bækken“

Das Buch ist im November 2020 als Paperback im Verlag „Brændpunkt“ erschienen, hat 448 Seiten und kostet 190 Kronen.

 

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