Leitartikel

„Simon Spies: Ein Heldenepos ohne die notwendigen Nuancen“

Simon Spies: Ein Heldenepos ohne die notwendigen Nuancen

Simon Spies: Ein Heldenepos ohne die notwendigen Nuancen

Kopenhagen
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Der dänische Reiseunternehmer Simon Spies ist jahrzehntelang wie ein Held gefeiert worden, obwohl seine Schattenseiten bekannt waren. Seine Geschichte muss umgeschrieben werden – alles andere wäre Geschichtsfälschung, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Seit Wochen wird in Dänemark vor allem über eine Person heiß diskutiert – und dabei ist sie bereits vor fast 40 Jahren verstorben: Simon Spies, Namensgeber und Gründer des Reiseunternehmens Spies ist in einer Serie des dänischen Fernsehens „DR“ porträtiert worden und kommt dabei alles andere als gut weg.

Simon Spies war ein begnadeter Geschäftsmann, der den Bedarf an Pauschalreisen früh erkannte und sein Lebenswerk schuf. Er wusste, wie er sich und seinem Unternehmen Aufmerksamkeit verschaffte: Kostenlose Werbung war sein Ding, und auch schlechte Werbung, so sein Spruch, sei besser als gar keine Werbung.

Aber Simon Spies war eben auch ein Mann mit Hang zu jungen Frauen, die er für Geld und teure Geschenke kaufte – als Angestellte hat er sie zum Teil sexuell missbraucht. Dafür gab er den Frauen ein Luxusleben – bis er sie nicht mehr brauchte.

Um es auf den Punkt zu bringen: Simon Spies war ein sexistisches Schwein.

Auch mit der damaligen Brille ließ er jegliche Moral und jeglichen Anstand auf dem Boden liegen – so wie die nackten Frauen, die er vor- und verführte.

Wenn die Me-Too-Welle auf historische Reisen geht, gibt es immer wieder Kritik: Es waren andere Zeiten. Es gab damals eine andere Kultur. Damals war es in Ordnung. So lauten oft die Argumente – und die Toten solle man ohnehin in Frieden ruhen lassen.

Doch die Machenschaften von Simon Spies waren auch nach damaligen Normen und Gesetzen nicht in Ordnung. Schon damals durfte ein Chef seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ausnutzen – und schon gar nicht sexuell – auch nicht, wenn er ihnen für einige Zeit ein Luxusleben schenkte.

Die jungen Frauen hätten es selbst gewollt, um an seinen Reichtum zu gelangen, meinen viele. Aber hatten sie überhaupt eine Wahl? Hätten sie Nein gesagt, mussten sie um ihren Job bangen. Das Machtverhältnis war eindeutig.

Niemand stoppte damals Simon Spies. Nicht im Unternehmen, aber auch nicht die Medien, die seine Pressekonferenzen mit nackten Frauen lechzend verfolgten. Keine kritischen Stimmen oder Fragen. Im Rückblick: peinlich für die Presse.

Aber auch Behörden schauten weg, als die jungen Frauen von ihrem Chef öffentlich missbraucht wurden. Das ist nicht mehr peinlich, sondern eigentlich schon ein Skandal, denn die Gesetzeslage war auch damals eindeutig.

Und warum müssen wir uns fast 40 Jahre nach dem Tod von Simon Spies überhaupt anhören, was diese Frauen zu berichten haben. Ging es ihnen damals nicht gut, und warum haben sie nicht gleich protestiert, statt Jahrzehnte zu warten?

Weil es lange Zeit keinen Raum in der Gesellschaft gab, um diese Machenschaften anzuprangern. Diese Tür ist erst spät mit der Me-Too-Welle aufgestoßen worden. Daher trauen sich viele Frauen erst jetzt, ihre Geschichte zu erzählen. Wobei sie auch heute noch – das zeigen die Reaktionen auf die Spies-Geschichte – sehr viel Mut aufbringen müssen, um überhaupt ihre Erlebnisse zu schildern. Es ist ein notwendiges Gegenstück zu der Helden-Geschichte Simon Spies, der ein genialer Geschäftsmann war, aber gleichzeitig Frauen mit Füßen getreten hat.

Als ob das nicht schon schlimm genug gewesen ist, war Simon Spies auch noch ein überzeugter Nazi, der beim Eintritt in die dänische Nazi-Partei DNSAP seine nordische Reinheit beteuerte – aber später seine Rolle herunterspielte.

Das Unternehmen Spies erzählt auf seiner Homepage aber immer noch das Heldenepos seines Gründers. Ohne Nuancen. Das ist nicht Geschichtsschreibung, sondern Geschichtsfälschung. 

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