Leitartikel

„Unsichtbare tickende Bomben“

Unsichtbare tickende Bomben

Unsichtbare tickende Bomben

Apenrade/Aabenraa
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„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch beschäftigt sich in seinem Leitartikel mit dem seit Jahren und Jahrzehnten in Dänemark aktuellen Thema Grundwasserschutz und Maßnahmen zur Sicherung des Trinkwassers vor Schadstoffen. Seit Jahren wird das Problem nicht gelöst.

Wer in Dänemark den Nachrichtenstrom im Auge hat, weiß, dass Meldungen über neue, alarmierende Funde von Pestizidresten in Grund- und Trinkwasserproben seit über 30 Jahren regelmäßig in Zeitungen und elektronischen Medien auftauchen. Erst vor wenigen Tagen sorgten neue Untersuchungsergebnisse des staatlichen geologischen Institutes GEUS, das seit 1999 auf Versuchsfeldern den Verbleib von Pestiziden und deren Abbauprodukten nach Anwendung auf Kulturpflanzen untersucht, für neue Forderungen der Parteien SF und Einheitsliste, den Einsatz von Agrarchemikalien weiter einzuschränken.

Beim Institut GEUS wird die Pressemitteilung zum aktuellen Bericht mit dem Hinweis eingeleitet, dass die meisten, im Zeitraum 2017 bis 2019 getesteten Pestizide nicht ins Grundwasser eingedrungen sind, nur bei dreien sei das vorgekommen. Da verwundert es allerdings, dass der Naturschutzverband „Danmarks Naturfredningsforening“, in dessen Reihen kompetente Fachleute tätig sind, darauf hinweisen muss, dass gerade die zur Einschwemmung ins Grundwasser neigende Substanz 1,2,4-Triazol zur Pilzbekämpfung in den vergangenen Jahren bei der Anwendung geradezu einen Boom erlebt hat. 2017 wurden davon 81 Tonnen ausgebracht. Im „jungen“ Grundwasser wurde es in 86 Prozent der Proben gefunden, in 26 Prozent der Proben wurden Grenzwerte überschritten.

Alles nicht so schlimm, mögen viele zu solchen Meldungen sagen, schließlich wird schon seit Jahrzehnten über die Pestizid-Problematik geklagt und debattiert. Angesichts der aktuellen Corona-Krise könnte man dazu neigen, das Thema als weniger relevant abzuhaken. Aber so einfach ist das nicht. Leider handelt es sich um Chemikalien, die hormonell im menschlichen Körper Wirkung zeigen. Im GEUS-Bericht tauchen auch weitere alte Bekannte, u. a. das umstrittene Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat, auf, die wie das Pilzbekämpfungsmittel ins Grundwasser eindringen. Umweltministerin Lea Wermelin (Sozialdemokraten) reagierte per Pressemitteilung mit der Aussage, die staatliche Umweltbehörde arbeite daran, bei der Anwendung der problematischen Stoffe Beschränkungen anzuordnen.

Dass der Naturschutzverband mit Kritik auf die neuesten beunruhigenden Grundwasser-Überwachungergebnisse reagiert, ist mehr als angebracht. Wer sich an Informationen des einstigen Amtes Nordschleswig, das für den Grundwasserschutz zuständig war, aus den 1980er und 1990er Jahren erinnert, weiß, dass damals erläutert wurde, die Verunreinigungen seien durch längst verbotene und aus dem Verkehr gezogene Pestizide verursacht worden. Doch leider ist es so, dass laut Naturschutzverband 2019 in den Trinkwasserbrunnen in Dänemark 45 Prozent Pestizidreste enthielten, bei 12,7 Prozent waren die Grenzwerte überschritten. Dabei ist nicht berücksichtigt, dass bereits über Jahrzehnte ständig Trinkwasserbrunnen geschlossen worden sind, weil sie wegen Grenzwertüberschreitung für die Wasserversorgung unbrauchbar geworden waren. Außerdem werden immer neue Substanzen aufgespürt, das untersuchte Sortiment bei GEUS umfasst inzwischen 130 Stoffe.

Die Umweltministerin wird angesichts der großen wirtschaftlichen Bedeutung der konventionellen Landwirtschaft sicher kein Verbot der Anwendung von Pestiziden, die sich oft ja erst nach Jahren als bedenklich entpuppen, politisch durchsetzen. Doch sollte sie rasch ihr Versprechen einlösen, den vor über einem Jahr dem Folketing vorgelegten Bürgervorschlag umzusetzen, den Verkauf von Spritzmitteln an Privatpersonen und deren Einsatz auf öffentlichen Flächen zu verbieten. Auch müssen die spritzmittelfreien Zonen um die Trinkwasserbrunnen rasch erweitert werden. Die unsichtbaren tickenden Bomben im Untergrund müssen entschärft werden.   

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