Diese Woche in Kopenhagen

„Frandsen und Løkke könnten die Ministerwagen davonfahren“

Frandsen und Løkke könnten die Ministerwagen davonfahren

Frandsen und Løkke könnten die Ministerwagen davonfahren

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Am frühen Wahlabend jubelte Henrik Frandsen noch, doch dann kippte das entscheidende Mandat zugunsten der Sozialdemokratie. Jetzt droht auch der Traum von der Regierungsbeteiligung sich in Luft aufzulösen. Foto: Walter Turnowsky

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Nachdem die Sozialistische Volkspartei am Mittwoch aus den Regierungsverhandlungen ausgestiegen ist, steht endgültig fest: Dänemark steuert auf eine Regierung mit der Sozialdemokratie und Venstre zu. Walter Turnowsky macht sich darüber Gedanken, wo sie ihre Mehrheiten holen kann.

Ab und zu tauchen sie noch im Hof vor dem Haupteingang von Christiansborg auf: die Dienstwagen der amtierenden Ministerinnen und Minister. Schließlich muss gelegentlich noch amtiert werden.

Es wird allerdings nicht mehr lange dauern, dann müssen so einige aus den Autos mit getönten Scheiben aussteigen. Unklar ist jedoch weiterhin, wer einsteigen wird. Immer klarer wird allerdings, dass Politikerinnen und Politiker von der Sozialdemokratie und Venstre dabei sein werden – vielleicht werden sie sogar in sämtlichen Wagen Platz nehmen.

Am Dienstag schrieb ich in einer Analyse, dass eine Koalition zwischen den bisherigen Kontrahenten Sozialdemokratie und Venstre sehr wahrscheinlich erscheint. Nachdem die Sozialistische Volkspartei (SF) am Mittwoch aus den Verhandlungen ausgestiegen ist, kann nur noch ein Zusammenbruch der Gespräche das verhindern.

Die Äußerung der SF-Vorsitzenden Pia Olsen Dyhr, es sei bei den Verhandlungen „zu blau“ – also zu bürgerlich – geworden, verdeutlicht, dass die sozialdemokratische Vorsitzende Mette Frederiksen dem Venstre-Chef Jakob Ellemann-Jensen substanzielle Zugeständnisse gemacht hat. SF will sich daher auch nicht als Unterstützerpartei anbieten.

Konkret nannte Olsen Dyhr eine, in ihren Augen, zu zögerliche Klimapolitik gegenüber der Landwirtschaft. Für die liberale Bauernpartei Venstre ist es ein zentrales Anliegen, die Landwirte nicht mit, ihrer Meinung nach, zu harten Maßnahmen zu überlasten.

Laut den spärlichen Informationen, die bisher aus den Verhandlungsräumen gedrungen sind, ist Frederiksen auch bei der Sozialhilfe für Kinderfamilien und bei einer Erhöhung der Anzahl der Arbeitskräfte zu Zugeständnissen bereit.

Ellemann Jensen kann sich über die Kritik von SF nur freuen – „zu blau“ bedeutet, er kann den eingestandenen „Wählerbetrug“ leichter der eigenen Basis verkaufen. Und Frederiksen weiß natürlich ganz genau, dass ihr vom Gegner zum Partner gewandeltes Gegenüber solche „Siege“ benötigt, soll aus der rot-blauen Koalition etwas werden.

Nun kann es, je nach Temperament, schön sein, die sich entwickelnde Romanze zu verfolgen, aber eine Regierung braucht eine Mehrheit (oder es darf im dänischen System zumindest keine Mehrheit gegen sie geben). Von einer Mehrheit sind die Sozialdemokratie und Venstre noch ein Stück weit entfernt: 17 Mandate weit, um genau zu sein.

Aber woher nehmen und nicht stehlen (Mandatklau ist zwar nicht gänzlich unbekannt, aber nicht in so hoher Anzahl). Klar ist daher, es bedarf der Unterstützung durch die Moderaten und Radikale Venstre. Gemeinsam haben die vier Parteien 96 Mandate, sechs mehr als die notwendigen 90.

Jetzt ist die Frage, ob auch Politikerinnen und Politiker der Radikalen Venstre und der Moderaten in den Genuss kommen werden, im Ministerwagen chauffiert zu werden oder sie sich mit der Rolle als Unterstützer zufriedenstellen müssen.

In dieser Frage tagen die politischen Kommentatoren noch: Einige meinen, wir steuern auf eine reine Soz.-V-Koalition zu, andere, dass Lars Løkke Rasmussens Moderate sich noch in den einen oder anderen Ministerwagen quetschen können. Andere wiederum geben den Radikalen noch eine Chance.

Persönlich neige ich dazu, dass Løkke und der ehemalige Tonderner Bürgermeister Henrik Frandsen den Ministerwagen hinterherschauen können. Wobei ich einräume, dass ich mich hier ein wenig auf das Lesen von Teeblättern stütze.

In denen – also den Teeblättern – erkenne ich, dass Ellemann kein großes Interesse daran hat, seinem ehemaligen Chef und Venstre-Vorsitzenden Løkke einen Platz in der Regierung zu geben. Ellemann traut ihm nicht; außerdem hat er Venstre viele Stimmen abgeknöpft. Sollten die Moderaten wieder aus der politischen Landschaft verschwinden, der heutige Venstre-Häuptling würde Krokodilstränen weinen.

Auch Mette Frederiksen ist nicht unbedingt daran interessiert, Løkke, Frandsen und Co. in die Regierung zu hieven. Ohne sie hätte die Regierung nämlich größeren Spielraum zum Manövrieren. So könnte sie sich in konkreten Fällen auch eine Mehrheit mit SF und zum Beispiel den vier nordatlantischen Mandaten holen. Mit den Moderaten und den nordatlantischen Mandaten funktioniert das Rechenbeispiel in gleicher Weise. Die nordatlantischen Mandate können auch durch eine beliebige andere Fraktion ersetzt werden.

Lars Løkke hat bereits vergangene Woche gesagt, er wolle die Rolle der Unterstützerpartei einer Regierung über die Mitte hinweg nicht ausschließen. Der politische Einfluss ist in der Rolle immer noch erheblich größer, als wenn er gar keine Absprache mit einer kommenden Regierung hat.

Sollte Radikale Venstre Teil der Koalition werden, hätte diese zum Beispiel mit den Moderaten und SF ohne eine weitere Partei eine Mehrheit. Das könnte die Option für Frederiksen attraktiv machen, zumal sich das Klima zwischen ihrer Partei und den Radikalen zunehmend gebessert hat. Dagegen spricht, dass einmal linksliberal und einmal rechtsliberal in der Koalition für die Sozialdemokratie vielleicht etwas zu viel liberal sein könnte.

Damit wären für dieses Mal die Teeblätter ausgelesen (und können im Biomüll entsorgt werden). Es wird in diesen Tagen intensiv verhandelt, und bald werden wir wissen, ob Henrik Frandsen einen Dienstwagen bekommt oder in der Rolle als Fraktionsvorsitzender weiterhin den Zug vom Hof in Scherrebek (Skærbæk) nach Kopenhagen nehmen muss.

Mehr lesen