Wohnungslosigkeit

Regierung will Zahl der Obdachlosen reduzieren

Regierung will Zahl der Obdachlosen reduzieren

Regierung will Zahl der Obdachlosen reduzieren

Ritzau/nb
Kopenhagen
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Die Regierung möchte die Anzahl an Obdachlosen reduzieren und zudem lang anhaltende Wohnungslosigkeit abschaffen. Dies soll unter anderem durch mehr günstigen Wohnraum und individuelle Hilfestellung erreicht werden. Foto: Bjarke Ørsted/Ritzau Scanpix

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Mit einer neuen Initiative will die Regierung die Zahl der Obdachlosen verringern. Finanzielle Anreize für die Kommunen sollen den Obdachlosen dabei helfen, aus der Herberge in eine eigene Wohnung ziehen zu können.

6.500 Personen waren im Jahr 2019 in Dänemark obdachlos.

Die Regierung möchte vor diesem Hintergrund die Zahl der Obdachlosen reduzieren. Aus diesem Anlass hat Sozial- und Seniorenministerin Astrid Krag (Soz.) am Montag eine neue Initiative vorgestellt.

Demnach soll neben einer Verringerung der Anzahl betroffener Bürgerinnen und Bürger auch die dauerhafte Obdachlosigkeit in Dänemark ganz beseitigt werden.

„Die Menschen sollen nicht auf der Straße leben oder ein ganzes oder halbes Jahr in einer Herberge wohnen. Wir müssen anders und ambitioniert an die Sache rangehen. Dabei geht es zum einen darum, den erforderlichen Wohnraum zu schaffen, und zum anderen darum, dafür zu sorgen, dass Obdachlose umfassende Unterstützung erhalten, weil dies so wichtig ist“, sagt Astrid Krag.

Modell „housing first“

Die Regierung will dazu das Modell „housing first“ anwenden.

Das Modell sieht vor, dass einer obdachlosen Person zuerst eine Wohnung angeboten, und erst danach beispielsweise mit der Behandlung psychischer Probleme begonnen wird.

„Wir reden bald seit zehn Jahren von ‚housing first‘ und haben im Laufe der Zeit etwa 600 Millionen Kronen darauf verwendet. Währenddessen hat die Zahl der Obdachlosen zugenommen. Der Grund dafür ist, dass wir bisher die Frage der Wohnung nicht berücksichtigt haben, aber damit fangen wir jetzt an“, sagt die Ministerin.

Mehr günstige Mietwohnungen

Die Regierung will mit ihrer Mitte Oktober vorgestellten Initiative „Tættere på II“ 2.900 weitere günstige Wohnungen schaffen. Sie sollen sowohl unter Neubauprojekten als auch bei bereits existierendem Wohnraum gefunden werden.

Zudem möchte die Regierung eine Vereinbarung mit den Kommunen schließen, wonach diese ihr Zuweisungsrecht für günstige Familienwohnungen besser ausschöpfen sollen.

Die Menschen sollen nicht auf der Straße leben oder ein ganzes oder halbes Jahr in einer Herberge wohnen. Wir müssen anders und ambitioniert an die Sache rangehen.

Astrid Krag (Soz.), Sozial- und Seniorenministerin

Das Sozial- und Seniorenministerium gibt die Zahl der Familienwohnungen, deren Miete weniger als 3.500 Kronen pro Monat beträgt, mit knapp 40.000 an.

Im kommenden Jahr möchte die Regierung diese Zahl um weitere 1.200 Wohnungen ausweiten und hat dazu 100 Millionen Kronen vorgesehen. Weitere 680 Millionen Kronen sollen zudem bis zum Jahr 2026 als Einmalzuschuss aufgewendet werden, um die Miethöhe auf permanent 3.500 Kronen im Monat abzusenken. Hiervon sollen 1.700 neue allgemeine Wohnungen profitieren.

Bedeutend weniger Obdachlose innerhalb von vier Jahren

Die verantwortliche Ministerin Astrid Krag bezeichnet die Initiative als „grundlegende Umstellung“ und möchte deswegen keine konkreten Ziele festlegen.

„Allerdings hoffe ich, dass wir bereits im Jahr 2025 sehen können, dass es bedeutend weniger Obdachlose gibt“, sagt sie.

Als zusätzliches Mittel will die Regierung die sogenannte „Erstattungsordnung“ ändern. Bislang erhalten die Kommunen für die Unterbringung von Obdachlosen in einer Herberge eine Erstattung vom Staat in Höhe von 50 Prozent.

Es geht zum einen darum, den erforderlichen Wohnraum zu schaffen, und zum anderen darum, dafür zu sorgen, dass Obdachlose umfassende Unterstützung erhalten, weil dies so wichtig ist.

Astrid Krag (Soz.), Sozial- und Seniorenministerin

Astrid Krag möchte, dass die Erstattung den Betroffenen im Rahmen der „housing first“-Initiative direkt zugutekommt, nachdem diese bis zu 90 Tage in einer Herberge untergebracht waren.

„Das ist kein Versuch, Finanzmittel in diesem Bereich zu kürzen. Stattdessen geht es um eine Änderung der Schwerpunktsetzung der Unterstützung, sodass sie dem Bürger direkt zugutekommt und wir dadurch in höherem Maße als bisher dafür sorgen, dass die Betroffenen eine eigene Wohnung bekommen. Damit senden wir ein Signal in die richtige Richtung, anstatt den Kommunen wie bisher nur dann eine Erstattung zukommen zu lassen, wenn die Betroffenen in einer Herberge untergebracht sind“, sagt Astrid Krag.

Außerdem sollen die Kommunen zukünftig auch individuelle Handlungspläne für alle in einer Herberge untergebrachten Bürgerinnen und Bürger erstellen.

Kritik von der Opposition

Nach Meinung der Opposition reichen die von der Regierung geplanten Maßnahmen bei Weitem nicht aus.

„Den Vorschlägen fehlen vor allem vorbeugende Maßnahmen, sodass man erst gar nicht obdachlos wird“, sagt die sozialpolitische Sprecherin der Dänischen Volkspartei, Karina Adsbøl. „Man sollte Pflegekindern ein Anrecht auf Nachfürsorge geben in Form eines zusammenhängenden sektorenübergreifenden, individuellen Einsatzes, sodass man ihnen so gut wie möglich auf dem Weg ins Erwachsenenleben hilft“, so Adsbøl.

Den Vorschlägen fehlen vor allem vorbeugende Maßnahmen, sodass man erst gar nicht obdachlos wird.

Karina Adsbøl, Dänische Volkspartei

Die sozialpolitische Sprecherin der Sozialistischen Volkspartei lobt zwar die „first-housing“-Strategie, wünscht sich jedoch den Einsatz weiterer finanzieller Mittel.

„Es ist gut, dass die Regierung günstigeren Wohnungen für Obdachlose Priorität einräumt. Aber das reicht nicht aus. Wir müssen mehr tun, um ans Ziel zu kommen“, sagt sie. „Deshalb brauchen wir einen ambitionierten Plan, der obdachlosen Menschen hilft, eine Wohnung zu finden und ihre sozialen und psychischen Probleme zu bewältigen.“

Bei der Einheitsliste begrüßt man die Initiative der Regierung, fordert jedoch eine Festschreibung der Wohnungsgarantie im Servicegesetz.

„Menschen ohne Obdach haben ein Recht darauf, innerhalb von 30 Tagen, nachdem sie in einer Herberge Unterschlupf gefunden haben, eine Wohnung zugewiesen zu bekommen, Punkt“, sagt die sozialpolitische Sprecherin, Pernille Skipper.

Menschen ohne Obdach haben ein Recht darauf, innerhalb von 30 Tagen, nachdem sie in einer Herberge Unterschlupf gefunden haben, eine Wohnung zugewiesen zu bekommen, Punkt.

Pernille Skipper, Einheitsliste

Sie fordert deswegen einen wesentlich zielgerichteteren Einsatz, um die Menschen aus den Herbergen zu bekommen.

„Ein Monat in einer Herberge ist lang. Soziale Probleme und Missbrauch können einem schnell über den Kopf wachsen. Und richtig viele Menschen befinden sich noch wesentlich länger in einer Herberge“, sagt Pernille Skipper.

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Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
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