Leitartikel

„Die zwei Seiten des Zaunes“

Die zwei Seiten des Zaunes

Die zwei Seiten des Zaunes

Kopenhagen
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Mitglieder der Minderheiten haben das Privileg, sich in zwei Kulturen bewegen zu können. Damit können sie auch eine wichtige, andere Sicht der Dinge in die Mehrheitsbevölkerungen tragen. Der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler möchte diese Rolle spielen, meint Walter Turnowsky.

Oberflächlich betrachtet mag ein Wildschweinzaum ziemlich gleich aussehen, ob man ihn nun von der einen oder der anderen Seite betrachtet.

Wer jedoch die Diskussion um den Zaun – und nicht nur um den – auch nur oberflächlich verfolgt hat, der weiß, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob man ihn von Norden her oder von Süden her betrachtet.

Ob es nun um Grenzkontrollen, Asylpolitik, Digitalisierung, Datenschutz, EU, Umgang mit Corona geht – die Sicht auf die Dinge kann sehr unterschiedlich sein, ob man nun in Deutschland oder in Dänemark lebt.

Dies wird häufig in der öffentlichen und politischen Debatte vergessen. Vor allem in Dänemark, vergisst man (zu) häufig, dass die Debatten im Land auch Bedeutung dafür haben, wie man das Königreich im Ausland sieht.

In der Bundesrepublik ist man aus historischen Gründen und aufgrund der Größe des Landes aufmerksamer auf die Außendarstellung. Was nicht heißen will, dass man unbedingt versteht, wie bei den Nachbarn gedacht und diskutiert wird.

Bewohnerinnen und Bewohner sind in dieser Hinsicht privilegiert: Sie können sich, auch im übertragenen Sinn, den Zaun von beiden Seiten anschauen. Dies gilt noch einmal mehr für die Menschen der Minderheiten nördlich und südlich der Grenze.

Da wird eben in vielen Familien „Tagesschau“ und „TV Avisen“, „Heute“ und „TV2 Nyhederne“ geschaut. Beziehungsweise wurde, denn immer mehr Menschen beziehen ihre Nachrichten aus dem Netz, was es letztlich noch einfacher macht, die Diskussionen auf beiden Seiten zu verfolgen.

Dadurch entwickelt sich die Erkenntnis, dass die eine Sicht nicht unbedingt richtiger ist als die andere. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass sie unterschiedlich ist. Doch auch, dass man sich voneinander inspirieren lassen kann, wenn man Antworten auf wichtige Fragen sucht.

Vielleicht entwickelt sich daraus ja sogar (Hegel und Marx würden sich über diese Pointe freuen) eine dritte, bislang nicht bedachte Lösung auf ein Problem. Und hierin liegt das eigentliche Potenzial einer Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Und das gilt nicht nur für das Grenzland, sondern auch für die Staaten insgesamt, dass man gut daran tut, sich voneinander inspirieren zu lassen.

Man soll zwar nicht Eulen nach Athen tragen, aber dänisches Gedankengut nach Berlin schon. Und genau das hat sich der Bundestagsabgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbandes, Stefan Seidler, zur Aufgabe gemacht. Bei Fragen wie Klima, Digitalisierung, Sozialem, Bildung und vielem mehr kann es gewiss nicht schaden, auch über Ansätze in Dänemark Bescheid zu wissen.

Und in dieser Woche ist Seidler in die entgegengesetzte Richtung gereist, hat Deutsches nach Kopenhagen getragen.

Und man hat ihm die Türen geöffnet. Zwei Minister sowie diverse Parteichefinnen und -chefs haben sich mit ihm getroffen. Er konnte sich mit ihnen austauschen.

Welche konkreten Ergebnisse dabei herauskommen, muss sich noch zeigen. Ob er zum Beispiel bei einem seiner wichtigen Anliegen, den Grenzkontrollen, etwas bewegen konnte, ist noch mehr als offen.

Doch zumindest wissen führende dänische Politikerinnen und Politiker jetzt etwas mehr darüber, wie der Zaun von der anderen Seite aussieht.

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