Leitartikel

„Zugverbindung Mette-Scholz“

Zugverbindung Mette-Scholz

Zugverbindung Mette-Scholz

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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„Nordschleswiger“-Seniorkorrespondent Siegfried Matlok lässt das Treffen von Staatsministerin Mette Frederiksen und Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin Revue passieren und kommentiert die Themen, die die beiden gestreift haben - von großen gemeinsamen Zielen beim Klima über den unterschiedlichen Kampf gegen Corona bis zum vorbildhaften Grenzland.

Es war nicht JETTE Frederiksen, wie „BILD“ unwissend ankündigte, sondern Dänemarks Mette, die am Mittwoch zu einem ersten Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Kanzleramt zusammentraf. Ungewöhnlich für die Regierungschefin aus Kopenhagen, dass sie – nach der weltweit berühmt geworden dänischen Corona-„Freiheit“ – auf deutschem Boden wieder Mundschutz tragen musste. Das war auch bei ihrem Berlin-Debüt 2019 der Fall, der Schlagzeilen lieferte, weil sie die militärische Ehrenkompanie sitzend neben der damals erkrankten Bundeskanzlerin abnahm. 

Bei ihrem Gespräch im Kanzleramt – beide mit Abstand jeweils auf einem weißen Sofa Platz nehmend – kamen sie sich offenbar auch persönlich näher. „Jyllands Posten“ stellte eine „gute Chemie“ fest, obwohl Dänemarks wohl führende Deutschland-Expertin Lykke Friis vorab darauf hingewiesen hatte, dass Frederiksen in der Besucherliste des Kanzlers erst Platz acht (!) eingenommen hatte. Dass mit anderen Worten die Regierungschefs von Schweden und Norwegen gegenüber Dänemark den Vorzug erhalten hatten, was „Die Welt“ mit der von der SPD kritisch beäugten Null-Asyl-Politik der dänischen Genossen begründet. 

Dass die beiden Regierungschefs von Dänemark und Deutschland jedoch etwas Besonderes haben, was sie heute vorteilhaft und beispielhaft in ihre Beziehungen „in bester Nachbarschaft“ (Scholz) einbringen, wurde sowohl von Olaf Scholz als auch von Mette Frederiksen einleitend hervorgehoben: das deutsch-dänische Grenzland mit seinen Minderheiten als Kapital, „ein besonderes Verhältnis, das auch zu Inspirationen für den Rest der Welt geeignet sein kann“ (so Frederiksen). 

Dass die Pressekonferenz im Kanzleramt – laut Berliner Schnauze ja „Waschmaschine“ genannt – erst mit fast 20-minütiger Verspätung beginnen konnte, ist zunächst einmal ein gutes Zeichen für den Gesprächsbedarf zwischen beiden, auch angesichts des sehr ernsten sicherheitspolitischen Meinungsaustausches. Frederiksens Anfangshinweis auf die „gemeinsame Parteizugehörigkeit“, die „ich als ein großes Potenzial in der Zusammenarbeit sehe“, ließ Genosse Scholz aber unbeantwortet. Der Kanzler kennt auch aus seiner Hamburger Zeit genau die Unterschiede zwischen den beiden sozialdemokratischen Parteien, und im Übrigen ist im europäischen Kontext nicht die Parteizugehörigkeit, sondern die Interessen-Parallelität ausschlaggebend.

Und hier ging es im wahrsten Sinne des Wortes um knallharte Politik, um knallharte Interessen. Mette Frederiksen ist natürlich nicht verantwortlich für dänische Medien, aber im Gepäck hatte sie doch die (zu einseitige) Berichterstattung in der dänischen Presse mit Vorwürfen gegen Scholz, wo sogar – bei „TV2-News“ – der unfaire Verdacht geäußert wurde, Deutschland sei „vielleicht eher ein Alliierter Russlands“ vor dem Hintergrund der Diskussion um die umstrittene Erdgas-Leitung „Nord Stream 2“. Mit anderen Worten, hier Mette F. als „Hardliner“ und der Olaf nur als „Softie“?

Dummes Zeug, und es war bemerkenswert und sicherlich ganz bewusst, dass weder Mette Frederiksen noch Olaf Scholz „Nord Stream 2“ trotz kritischer Pressefragen überhaupt in den Mund nahmen. Ja, Frederiksen folgte direkt jener Linie, die der Bundeskanzler just bei seinem Treffen mit US-Präsident Biden vertreten hatte, als sie „wie der Herr Bundeskanzler“ – in der Frage, welche Art von Sanktionen vorbereitet werden – „aus gutem Grund“ wörtlich erklärte, dass „wir das hier nicht mitteilen und mit anderen teilen“.

Also, ganz im Gegenteil zu manchen Kommentaren, es wurde kräftig Schulterschluss demonstriert – bilateral, in der EU und in der Nato – mit transatlantischer Einigkeit über die „Doppelstrategie“ gegenüber Russland. Der Verhandlungskanal soll bis zuletzt offen gehalten werden, und gleichzeitig wird Putin mit aller Deutlichkeit klar gemacht, dass die westliche Abschreckung einen hohen Preis mit dramatischen Sanktionen bereithält, falls die Russen in der Ukraine militärisch intervenieren.  

Und Scholz, dessen bisheriges öffentliches Zögern international Kritik und auch unnötige Zweifel hervorgerufen hatte, konnte die Pressekonferenz auch zu einem Punktgewinn nutzen und seine eigene Position nach innen kraftvoll unterstreichen, als er – nach dem Einfluss des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder bei Gazprom befragt – unmissverständlich antwortete: „Er ist auch nicht der Regierungschef. Das bin ich.“

Frederiksens Stärke beim Berliner Gespräch war also nicht ihre vor der Abreise erhöhte militärische Bereitschaft inklusive Waffenhilfe für die Ukraine gegen die russische Aggression, vielmehr liegen Dänemarks Trümpfe im Kampf gegen einen anderen Feind, dessen Waffenarsenal weiterhin Deutschland bedroht: Corona.

Der Kanzler zeigte sich von Dänemark „beeindruckt“, mag wohl gedacht haben: So ein Ding müssen wir auch haben, denn er verband seine Anerkennung für die hohe Impfquote – vor allem beim Boostern der Älteren – mit einem Appell an seine eigenen Landsleute, sich doch wie in Dänemark impfen zu lassen. Mette Frederiksen bekam so dankbar die Gelegenheit, die dänische Erfolgspolitik in Sachen Pandemie zu erklären, wie es vor einem deutschen Millionen-Publikum in der Fernsehsendung „Hart aber fair“ wenige Tage zuvor der ehemalige „ARD“-Korrespondent in Kopenhagen, Marc-Christoph Wagner, wohltuend ausgewogen getan hatte.  

Während Dänemark und Deutschland im Kampf gegen Corona oft unterschiedliche Wege gegangen sind – was leider besonders im Grenzland spürbar wurde –, verbindet beide ihr Ehrgeiz in der Klimaschutzpolitik mit dem gemeinsamen Wunsch, aus der EU eine Klima-Union zu machen. Als Nachbarn haben sie technologisch ähnliche Vorstellungen, und darüber wurde in Berlin besonders intensiv gesprochen. Scholz erhofft sich, „dass wir dort gemeinsam Dinge voranbringen können“.

„Dass Deutschland eine neue deutsche Regierung bekommen hat, die sich auch große Ziele gesteckt hat, was die Klimaveränderung anbetrifft“, freute Mette Frederiksen – die sich noch kürzlich selbst als rot statt grün bezeichnet hatte – verständlicherweise, auch angesichts realistisch-lukrativer Erwartungen der grünen dänischen Exportwirtschaft. Sie signalisierte große Sympathie für „interessante Gedanken“, wonach die EU und Deutschland einen Klimaklub für die ambitioniertesten Länder in der Welt einrichten möchten. „Da wollen wir natürlich sehr gerne an dieser Arbeit teilnehmen“, sagte sie. Mit dänischen Augen gesehen wäre dies in EU-Regie eine Akzeptierung unterschiedlicher Geschwindigkeiten – anders als beim Euro, wo Dänemark jedoch bisher stets „nej tak“ gesagt hat.

Nur Friede, Freude, Eierkuchen? Nein, es gab ein Problem, das interessanterweise Olaf Scholz auf die Bahn brachte. „Aus meiner Zeit als Hamburger Bürgermeister weiß ich“, sagte er, „dass es auch viele Möglichkeiten gibt, die Verbindungen zu verbessern, insbesondere zum Beispiel mit einer Zugverbindung, an der jetzt intensiv gearbeitet wird“. 

Vielleicht hat der aus Hamburg stammende Scholz dabei ja an einen seiner berühmten Vorgänger, den sozialdemokratischen Bürgermeister Max Brauer, gedacht, denn am 5. Juni 1993 taufte Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt den dänischen IC 3-Zug MFA 5083-MFB 5283 im Hamburger Hauptbahnhof auf den Namen „Max Brauer“. 

Wer würde nicht gerne einen Zug auf den Namen „Mette Scholz“ hinnehmen, um bessere deutsch-dänische Zugverbindungen zu erreichen?! 

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