Leitartikel

„Verkehrsplanung ohne Realitätsverlust gefragt“

Verkehrsplanung ohne Realitätsverlust gefragt

Verkehrsplanung ohne Realitätsverlust gefragt

Apenrade/Aabenraa
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„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch widmet sich in seinem Leitartikel der aktuellen dänischen Verkehrspolitik, die durch eine Vorliebe für milliardenschwere Großprojekte geprägt ist, die bestimmt nicht den Herausforderungen des Klimaschutzes Rechnung tragen.

Fast zwei Jahre nach den jüngsten Folketingswahlen sind die längst überfälligen Verhandlungen über künftige Investitionen in die dänische Infrastruktur angelaufen. Nachdem vor mehreren Wochen bereits die sozialdemokratische Regierung ihre Vorstellungen präsentiert hatte, zog die seit Monaten durch interne Querelen geschwächte Oppositionspartei Venstre mit einem eigenen Infrastruktur-Konzept nach.

Während die Regierung, die gerne auf breiter politischer Basis, wie es in Dänemark lange üblich war, für kommende Verkehrsinvestitionen die Weichen stellen möchte, stets auch „grüne“ Forderungen ihrer Unterstützerparteien zu berücksichtigen hat, stellte Venstre-Chef Jakob Ellemann-Jensen klar, dass er weiter nach dem Motto „freie Fahrt für freie Bürger“ vor allem für mehr Autostraßen die hoffentlich weiter reichlich vorhandenen Steuergelder ausgeben möchte.

Während das Konzept der Regierung, das bekanntlich im Bereich Nordschleswig nur ein zweites Bahngleis zwischen Tingleff und Pattburg, eine Ladestation für Batteriezüge in Tondern sowie Untersuchungen zugunsten der Träumerei von einer Brücke zwischen Alsen und Fünen vorsieht, strebt Venstre die von Transportminister Benny Engelbrecht in die Schublade versenkte Heerwegsautobahn als zentrale Forderung an.

Und Venstre-Chef Ellemann-Jensen legt noch mit der Aussage nach, dass auf „unvernünftige“ Vorhaben wie eine Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Aarhus und Fredericia verzichtet werden sollte. Während Venstre noch vor gar nicht langer Zeit hochfliegende Pläne zur Klimaanpassung Dänemarks präsentierte, ist nun zwar noch von grüner Umstellung die Rede, aber vor allem in Form von mehr Ladestationen für Elektroautos oder Biogas als Treibstoff für den Schwerverkehr natürlich weiter auf den Straßen.

Es gibt aber auch gegenüber dem Regierungskonzept überzeugende Vorschläge bei Venstre. Dazu zählen Vorschläge zum Ausbau vorhandener Straßen wie der oft überlasteten A11 zwischen Tondern und Varde oder der Anstoß, oft vor Jahrzehnten bereits aufgegebene Bahnstationen wieder in Betrieb zu nehmen.

Ebenso wie die Regierung hält Venstre prinzipiell an dem Milliardenprojekt einer festen Kattegatverbindung fest. Verweist sogar darauf, dass eine schnelle Bahnverbindung entlang der jütischen Ostküste ein solches Vorhaben untergraben würde. Was angesichts der großen Herausforderungen angesichts der Konsequenzen des Klimawandels und der Krise in vielen Bereichen der heimischen Natur doch verwundert, ist die Ausblendung unbestreitbarer Auswirkungen von Großvorhaben wie einer Kattegatverbindung auf die Umwelt.

Bei Venstre wird offenbar auch ignoriert, dass bei einem Vorhaben wie einer Heerwegsautobahn nicht nur der zu erwartende Verkehr auf der Verkehrsader zu berücksichtigen ist, sondern auch der Eingriff in die auf der möglichen Trasse bisher nicht durchschnittenen Natur, der Klimaeffekt dabei aufzugrabener Niederungen und Moore sowie der Errichtung sehr vieler Betonbauwerke.

Fatal beim Widerstand Venstres gegen den seit Jahrzehnten überfälligen Ausbau der Bahnstrecke Fredericia-Aarhus, auf der noch Jahre stinkende Dieselzüge im Einsatz sind, ist die Aussicht auf eine nochmalige Verzögerung eines modernen, klimagerechten Bahnfernverkehrs in Dänemark. Die seit Jahrzehnten verschlafene Elektrifizierung des Bahnverkehrs vor allem im mittleren und nördlichen Jütland ist doch eine der Ursachen, dass die Pendler dort fast alle im Auto sitzen und die Autobahnen verstopfen.

Überhaupt nicht die Rede ist bei Venstre vom internationalen Fernverkehr, der in fast allen Nachbarstaaten Dänemarks durch Bahnausbau zukunftssicher gemacht wird, in Dänemark aber irgendwann gegen Ende des Jahrzehnts nur Kopenhagen über die Fehmarnverbindung einschließt, während Nordschleswig und Jütland mit Aussichten auf Status quo zwischen Pattburg und Skagen weiter abgehängt bleibt. Zu erinnern ist daran, dass die neuen dänischen elektrischen Intercityzüge nicht mehr bis Flensburg ins deutsche Bahnstromnetz fahren können.

Die Bürger sollten kritische Fragen stellen, statt sich von nicht zukunftsgerechten Versprechungen hinsichtlich weiterer Dominanz des Autoverkehrs und immer neuer Betongroßbauwerke mit Milliardenrechnungen verlocken zu lassen. Die Riesenvorhaben sind gerade auch Ursache der Vernachlässigung „unbedeutender“ Landstraßen wie der A 11 oder Eisenbahnstrecken entlang der Westküste Nordschleswigs, die ohne Milliardenkosten zum Vorteil vieler heimischer Bürger und auch ausländischer Urlauber modernisiert werden könnten. Wichtig ist, dass bei allen Politikern, nicht nur bei Venstre, die Realitäten nicht aus den Augen geraten. Und die bestehen aus nicht aufschiebbarem Klimaschutz, weniger Flug- und  mehr Bahnverkehr, aber auch mehr Nahverkehr per Fahrrad.  

 

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