Leitartikel

„Fehlkonstruktion und Frust“

Fehlkonstruktion und Frust

Fehlkonstruktion und Frust

Nordschleswig/Apenrade
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Die Krankenschwestern in Dänemark drohen inmitten der Corona-Pandemie mit einem Streik. Dafür gibt es gute Gründe, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Wir haben es 2020 an dieser Stelle schon angekündigt: Die Krankenschwestern in Dänemark würden bei den Lohnverhandlungen im Frühjahr hohe Forderungen stellen. Die Vorhersage war nicht wirklich schwierig – und auch, dass es jetzt vielleicht zu einem Streik kommt, ist nicht wirklich überraschend, nachdem die Krankenschwestern die Tarifabsprache abgelehnt haben.

Die Krankenschwestern – und andere Mitarbeitergruppen im Gesundheitssektor – stehen seit der Corona-Pandemie in der ersten Reihe und haben sich in ihrer Arbeit den Gefahren des Virusausbruchs gestellt. Bis zur Erschöpfung.

Sporadisch gab es dafür moralische Anerkennung, Klatschkonzerte und in einer Region gar Lebkuchenherzen als Dank. Aber das war es dann auch.

Auf dem Lohnzettel der Krankenschwester werden in den kommenden drei Jahren nur 5,5 Prozent mehr stehen – also ungefähr das, was andere auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls erhalten. Die Verbitterung über die fehlende finanzielle Anerkennung von Arbeitgeberseite ist daher groß.

So groß, dass die zweigeteilte Strategie der eigenen Gewerkschaft über den Haufen geworfen wurde. Die Gewerkschaft hatte nämlich einen Plan und wollte erst nach den Lohnverhandlungen eine weitere Verhandlung für einen gerechteren Lohn.

Das Problem der Krankenschwestern ist nämlich nicht das unzureichende Ergebnis der Lohnverhandlung, sondern vor allem ein strukturelles Problem, das 50 Jahre zurückliegt. Die damalige Lohnreform von 1969 platzierte typische Frauen-Berufe wie zum Beispiel die Krankenschwestern in eine niedrigere Lohnklasse als die typischen Männer-Berufe (damals unter anderem Lehrer).

Der Unterschied zwischen den Gehältern von damals ist über Jahrzehnte unverändert geblieben und daher die eigentliche Herausforderung.

Nun mischen die Krankenschwestern ihren Frust über eine historische Ungerechtigkeit mit der aktuellen Unzufriedenheit, für einen außerordentlichen Corona-Einsatz nicht belohnt worden zu sein.

Dieser explosive Cocktail kann mitten in der Pandemie zum Streik führen – was wiederum eine Gratwanderung für die Krankenschwestern ist. Noch haben sie nämlich die Sympathien auf ihrer Seite, aber sollten sie wirklich Teile des Gesundheitssystems nächsten Monat lahmlegen, können sie auch ihren Bonus verspielen.

Die zweigeteilte Strategie der Gewerkschaft wäre zwar der richtige Weg gewesen, doch der Protest der Krankenschwestern zeigt, wie tief der Frust steckt.

Und auch das schrieben wir bereits 2020: Falls es keine Lösung für die Lohn-Probleme der Krankenschwestern gibt, riskiert der Gesundheitssektor einen Aderlass – und dass in Zukunft der Nachwuchs ausbleibt.

Denn wer möchte schon in einer Branche arbeiten, in der die Mitarbeiter mit Lebkuchenherzen und weniger Gehalt als andere vergleichbare Gruppen abgefertigt werden? Es wird Zeit, dass die Fehlkonstruktion von 1969 ausgebessert wird.

 

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