Vortrag

Minderheitenrechte schon lange ein Thema

Minderheitenrechte schon lange ein Thema

Minderheitenrechte schon lange ein Thema

DN
Apenrade/Aabenraa
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Nach dem Vortrag wurde diskutiert. Foto: Privat

Wie sich bereits im frühen 20. Jahrhundert in der deutschen und dänischen Wissenschaft Gedanken über Minderheitenschutz und Minderheitenrechte gemacht wurde, erläuterte Prof. Dr. Carsten Schlüter-Knauer von der Fachhochschule Kiel am Donnerstag in der Deutschen Zentralbücherei in Apenrade.

Minderheitenschutz und Minderheitenrechte sind nicht erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Thema, sondern haben Wissenschaftler auch in den 20er Jahren in Deutschland schon umgetrieben. Wie Prof. Dr. Carsten Schlüter-Knauer, Fachhochschule Kiel, in seinem Vortrag in der deutschen Zentralbücherei Apenrade, erläuterte, machten sich Ferdinand Tönnies und sein dänischer Wissenschaftskollege Harald Höffding schon 1916, während des Ersten Weltkriegs, gemeinsam Gedanken darüber, wie Minderheiten als anerkannte Teile innerhalb der Mehrheitsgesellschaft existieren können.

Tönnies, der Begründer der Soziologie in Deutschland, hatte mit seinem zentralen, in viele Weltsprachen übersetzten Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft" eine Grundlage gelegt für die Analyse und Einordnung der sozialen Verbundenheiten, in denen Menschen miteinander leben. Die kleinteiligere, in ihrer Urform auf die Familie zurückzuführende Gemeinschaft – eher eine Nahform des Sozialen mit starken Gefühlsanteilen – hat in der Realität durchaus Schnittmengen mit der modernen Gesellschaft, in der das Zusammenleben vielfach durch vertragliche Grundlagen und rationale Zweck-Mittel-Überlegungen gekennzeichnet ist. Eine nationale Minderheit sah er schon 1916 als zeitgemäße Gemeinschaft in Nationen, die das verbriefte Recht haben müsse, ihre Sprache und Kultur zu pflegen. Das sollte, so führte Schlüter-Knauer beredt aus, in einer Demokratie laut Tönnies dadurch gesichert werden, dass eine Verfassung sie gewährt und ein oberster Gerichtshof auf die Einhaltung dieser Rechte achtet – so Tönnies in Texten von 1926.

Blick auf Nordschleswig

Auch mit Blick auf Nordschleswig und die Volksabstimmung zur Grenze, die sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt, stellt Tönnies in einem Interview wiederum aus dem Jahr 1926 fest: „Es ist ein Kampf um die deutsche Sprache und um die mit dieser Sprache zusammenhängende Kultur und Literatur, der den Autonomiebestrebungen im Elsaß und im deutschsprachigen Teil Lothringens zugrunde liegt. Ähnlich steht es mit den Deutschen in Lettland, Estland, Litauen und in Dänemark. Es ist eine große Aufgabe der Entwicklung des Völkerrechtes und seines wissenschaftlichen Ausbaues, um den sich gerade deutsche Gelehrte wie Niemeyer, Schücking und Simons fortwährend verdient machen, die Ansprüche geltend zu machen und zu verteidigen, die den Menschen aus ihrer Muttersprache, und der Liebe zu ihrem angeborenen Volkstum entspringen.“

Tönnies möchte den Minderheiten die sichere Ausübung ihrer Sprache und Kultur unbedingt zugestehen, hält aber wenig oder nichts von Grenzveränderungen, wie sie etwa die Königsauaugruppe für Nordschleswig forderte – sofern eben die Minderheitenrechte in einem demokratischen System gesichert sind. Eine kleine Ausnahme machte er, so zeigt die Forschung, die derzeit in einer Tönnies-Gesamtausgabe ihren Ausdruck findet, bei Tondern und Hojer. Die beiden Orte hätte er wegen der vielen deutschen Stimmen bei der Wahl lieber bei Deutschland gesehen.

Frappierend, so Schlüter-Knauer, welche Weitsicht schon 1916 und 1926 herrschte. Dann aber, stellte Johannes Brix  als Besucher der Veranstaltung konsterniert die Frage, ob die Politiker denn überhaupt auf Wissenschaftler hören. Diese Frage konnte auch Schlüter-Knauer nicht abschließend beantworten, denn die Wechselwirkungen sind schwerlich unmittelbar zu erkennen. „Allerdings“; so Schlüter-Knauer, „diese Zitate von Tönnies wirken wie die Blaupause für die Bonn-Kopenhagener Erklärungen.“

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