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Nachschulleiter: Wir sind eine bunt gemischte Truppe

Nachschulleiter: Wir sind eine bunt gemischte Truppe

Nachschulleiter: Wir sind eine bunt gemischte Truppe

Tingleff/Tinglev
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Dass Teambildung nicht mit teuren Auslandsreisen verbunden sein muss, bewies die Deutsche Nachschule Tingleff bei ihrem sogenannten Motionstag im Herbst vergangenen Jahres, als bei typisch nordschleswigschem Herbstwetter in der Ruinenstadt der Tingleffer Bereitschaftsschule diverse Hindernisse und Aufgaben zu bewältigen waren. Foto: Karin Riggelsen

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Jørn Warm teilt nicht die Besorgnis des Wirtschaftsverbandes, dass Nachschulen zur Enklave gut situierter Familien werden könnten. „Dansk Erhverv“ bemängelt außerdem, dass Kinder von Eingewanderten rar gesät sind. Diese Feststellung will der Tingleffer Nachschulleiter aus unterschiedlichen Gründen so nicht stehen lassen.

Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Dieses Zitat wird dem britischen Schriftsteller und ehemaligen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben. Analog dazu könnte es auch heißen: Traue keiner Analyse, die du nicht selbst in Auftrag gegeben hast.

Der Leiter der Deutschen Nachschule Tingleff, Jørn Warm, ist keineswegs glücklich über eine Untersuchung, deren Ergebnis der dänische Wirtschafts- und Arbeitgeberverband „Dansk Erhverv“ erst kürzlich veröffentlicht hat.

Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass es heute nur finanziell bessergestellten Eltern möglich ist, ihre Kinder an dänische Nachschulen zu schicken. Mädchen und Jungen aus der Unter- oder Mittelschicht würden kaum noch Nachschulen besuchen. Das Schreckensszenario wären für den Wirtschaftsverband staatlich finanzierte Eliteinternate wie in Großbritannien.

Sicherer Übungsplatz

Vor allem bemängelt „Dansk Erhverv“, dass die Nachschulen keine Integrationsarbeit leisten, weil Kinder von Eingewanderten gar nicht oder zumindest kaum solche Internatsschulen besuchen.

Nachschulleiter Jørn Warm an seinem Schreibtisch Foto: kjt

Integration sei absolut kein Fremdwort an Nachschulen, unterstreicht Warm. An seiner Einrichtung gebe es ständig Jugendliche unterschiedlicher Glaubensrichtungen und sexueller Orientierung. „Nachschulen sind auch eine Art sicherer Übungsplatz, wo man sich gefahrlos finden und ausprobieren kann. Die Jugendlichen sind quasi in Watte gepackt. Bei uns lernt man aber auch Rücksicht und Akzeptanz. Wir vermitteln soziale Kompetenzen“, unterstreicht er. Die Jugendlichen lernen in Tingleff auch, dass ihr Handeln Konsequenzen hat – für sich und andere – und dass in einer sozialen Gemeinschaft Regeln notwendig sind und befolgt werden müssen, weil sich sonst nur das Recht des Stärkeren durchsetze.

Spiegelbild der Gesellschaft

„Wir sind weit von einer Elite-Einrichtung entfernt. Unser Pro-Kopf-Preis liegt im unteren Segment. Da der Elternbeitrag je nach Einkommen von öffentlicher Hand bezuschusst wird, sind Nachschulen keineswegs den Kindern von Reichen vorbehalten“, unterstreicht Jørn Warm.

„Weil Eltern reich oder gebildet sind, bedeutet es ja nicht, dass die Kinder weniger Probleme haben. Es gibt auch unter den Besserverdienenden Kinder mit Lern- und Rechenschwächen oder auch mit dysfunktionalem Verhalten. Ich kann feststellen: Der Gesprächsbedarf ist in den vergangenen Jahren nicht weniger geworden. – Wir sind hier bei uns in Tingleff eine bunte Truppe – ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da wir die Jugendlichen aber rund um die Uhr betreuen, können wir gezielt mit ihnen arbeiten und ihnen Lösungswege an die Hand geben“, betont Jørn Warm.

Mehr als nur Wissen

Er wehrt sich auch gegen das Bild, das von den Nachschulen und deren Arbeit mit solchen Aussagen des Wirtschaftsverbandes in der Öffentlichkeit gezeichnet wird.

Es gehe an den Nachschulen nicht nur ums Lernen und ums Vermitteln von Wissen, so Warm, sondern auch darum, jungen Menschen beim Erwachsenwerden zu helfen. Der Nachschulleiter hält übrigens gar nichts davon, das 10. Schuljahr zu überspringen, um direkt an die weiterführende Schule zu gehen und so möglichst noch früher die Ausbildung oder das Studium anfangen zu können. Das 10. Schuljahr sei zum Menschwerden wichtig, betont Warm.

10. Schuljahr ist wichtig

Er selbst hatte seinerzeit auch das 10. Schuljahr übersprungen, um ans Gymnasium zu wechseln. Mit dem Abitur in der Hand hat er sich dann zunächst auf ein Ingenieursstudium gestürzt, für das er aber länger benötigte, weil er sich als Mensch noch nicht gefunden hatte, wie er es in der Retrospektive inzwischen sieht. „Mein Weg wurde für den dänischen Staat wesentlich teurer, als wenn ich damals noch das 10. Schuljahr gemacht hätte“, stellt Warm fest.

„Wie viele junge Menschen sich bei uns und an anderen Nachschulen zu wertvollen Stützen der Gesellschaft und zu zuverlässigen Mitarbeitenden entwickelt haben, geht aus der Analyse von ‚Dansk Erhverv‘ ja gar nicht hervor“, ärgert sich der Tingleffer Nachschulleiter.

Negative Folgen

„Ich finde, dass ‚Dansk Erhverv‘ lieber der Frage auf den Grund hätte gehen sollen, wie es um die dänischen Handels- und Berufsschulen bestellt ist. Vielleicht sollte in dem Bereich eher mal hinterfragt werden, warum es dort nicht so läuft“, sagt Jørn Warm.

Mehrere seiner Schülerinnen und Schüler, die im Zuge der Schnupperwochen in der Oberstufe jeweils für mehrere Tage in Gymnasium, Handelsschule oder Berufsschule hineinschnuppern können, würden immer wieder mehr oder weniger enttäuscht an die Nachschule zurückkehren, wenn sie an der Berufsschule waren. Die Kritik der jungen Menschen richtet sich nicht allein an das Unterrichtsniveau, sondern um das generelle Lernmilieu. „Wenn Unterricht ausfällt, weil Lehrkräfte krank oder verhindert sind, hat das auch negativen Einfluss auf die Arbeitsmoral der Jugendlichen“, ist Warm überzeugt.

„Wir erleben jedes Jahr, dass besonders das DGN (Deutsches Gymnasium für Nordschleswig, red. Anm.) unsere Schülerinnen und Schüler sehr engagiert und motiviert empfängt. Dann kann es nicht wundern, dass sie sich eher dahin orientieren. Ich kann nur empfehlen, dass ,Dansk Erhverv` und besonders die Berufsschulen sich davon inspirieren lassen, anstatt die 10. Klassen an den Nachschulen zu kritisieren, die ein eindeutiger Erfolg sind“, unterstreicht Nachschulleiter Jørn Warm abschließend.

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