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Reiche Kulturgeschichte Eiderstedts im Blick

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Tönning
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Die Stadtführern, Pastorin em. Giesela Mester-Römmer (l.), erläuterte der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG) ihre Heimatstadt Tönning als einst bedeutende Hafenstadt, auf dem Foto die Sturmflutsäule, die an die Gefährdung der Stadt an der Eidermündung durch hohe Wasserstände erinnert. Die Tagesfahrt der HAG hatte Eiderstedt als Zielgebiet. Im Hintergrund ein Lagerhaus aus dem Jahre 1783. Foto: Volker Heesch

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Die Tagesfahrt der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG) führte nach Tönning, Tetenbüll, Garding und ins Herrenhaus Hoyerswort. Nach der Corona-Absage 2020 präsentierte sich die Halbinsel in diesem Jahr in voller Pracht.

Am Sonnabend hat die Heimatkundliche Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG) bei ihrer Tagesfahrt auf die Halbinsel Eiderstedt bei Stadtführungen, Kirchenbesichtigungen und nach dem Besuch eines bedeutenden Herrenhaus Einblick in die reiche Kulturgeschichte dieser nordfriesischen Marschenlandschaft erhalten.

Exkursion zum Tagungsthema Eiderstedt

 Über 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnte der Vorsitzende der HAG, Lorenz P. Wree, bei der Tour begrüßen, die als Fortsetzung der Jahrestagung 2020 der Heimatkundler in der Akademie Sankelmark schon vor einem Jahr geplant war, aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Bestens vorbereitet hatten die Exkursion die HAG-Vorstandsmitglieder Kristel Thomsen und Frank  Lubowitz, die als erste Station in die Stadt Tönning an der Eider führte.

Tönning einst Festungsstadt

Pastorin em. Giesela-Mester Römmer von der Gesellschaft für Tönninger Stadtgeschichte stand eine Kennerin der bis ins frühe Mittelalter reichende Geschichte des heute von rund 5.000 Menschen bewohnten Ortes zur Verfügung, in der die St.-Laurentius-Kirche mit ihrem 92 Meter hohen Turm ein Wahrzeichen ist. Bereits 1186 wurde eine erste Kirche an ihrem Standort errichtet.

Die St. Laurentius-Kirche Tönning ist mit ihrem 92 Meter hohen Turm weithin sichtbar. Der Turm war der höchste Kirchturm im Herzogtum Schleswig, bis 1894 der Schleswiger Dom einen 112 Meter hohen Turm erhalten hat. Foto: Volker Heesch

 

Den romanischen Ursprung des Backsteinbaus, der nach schweren Beschädigungen im Nordischen Krieg (1700-1721) nach Beschuss und teilweisen Einsturz sein barockes Aussehen erhalten hatte, ist noch an der Nordseite der Kirche sichtbar. In ihrem Vortrag ging Giesela Mester-Römmer auf den einstigen Reichtum Eiderstedts aufgrund der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte in seinen fruchtbaren Marschen ein, die dem Hafenort Tönning an der Mündung der einst als Verkehrsweg bedeutenden Eider zur Blüte verhalf.

Aus Eichenholz ist das Tonnendach in der Tönninger St.-Laurentius-Kirche gefertigt. Die Eichen des Baumaterials stammen aus England. Foto: Volker Heesch

 

„Im 16. Jahrhundert wurden drei Millionen Pfund Käse aus Tönning nach England exportiert“, so die Stadtführerin, die mit der Heimatkunde-Gruppe aus Nordschleswig den einst bedeutenden Hafen besuchte, wo ein Packhaus aus dem Eröffnungsjahr des Eiderkanals, 1783, an eine letzte große Blütezeit mit regem Schiffsverkehr erinnert, die aber mit der Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals 1895 endete. Nach der Inbetriebnahme der jüngsten Eiderabdämmung 1973 haben auch die einst zahlreichen Fischkutter den Tönninger Hafen verlassen, der mit der Verarbeitung von Krabben und Fisch lange für Beschäftigung gesorgt hatte.  Ein weiteres Thema der Stadtführung war die Zeit Tönnings als Festungsstadt. Während der Zugehörigkeit Eiderstedts und Tönnings zum Herzogtum Schleswig-Gottorf ließ Herzog Adolf ab 1580 das Schloss errichten. Ab 1644 wurde die Stadt erstmals befestigt, nach einem Rückbau auf Anordnung des dänischen Königs Christian V. im Zuge des Konfliktes mit den Gottorfer Herzögen, die sich mit Schweden, dem dänischen Erzfeind, verbündet hatten, wurde die Festung unter Herzog Christian Albrecht wieder aufgebaut.

Ein Gemälde in der Tönninger Kirche erinnert an den Gottorfer Hofmaler Jürgen Owens (1623-1678), der aus Tönning stammte. Die Eltern des Malers sind auf dem Bild zu sehen. Foto: Volker Heesch

 

1700 wurde Tönning zu Beginn des Großen Nordischen Kriegs vom dänischen Heer eingeschlossen und durch Beschuss verwüstet. Nach Befreiung durch schwedische Truppen im selben Jahr, wendete sich ab 1712 das Kriegsglück zu Ungunsten Schwedens und Gottorfs. Nach Belagerung der Stadt seit 1713 musste die von den Truppen des Schwedengenerals Steenbock mit 11.000 Soldaten besetzte Stadt Tönning sich 1714 ergeben. Die Dänen vertrieben die Gottorfer nach dem Ende des Krieges 1721 aus ihren Schleswigschen Territorien. Sie ließen die Festung abbrechen und im Jahr 1835 das Schloss, von dem Stadtführerin Giesela Mester-Römmer nur noch bescheidene Beischläge im Park zeigen konnte, wo sich einst der Standort des Schlosses befand.

„Bootfahrten" als Verkehrswege

In Augenschein genommen wurden die Bootfahrten, kleine Kanäle, die der Entwässerung der Marschen, vor allem aber auch als Verkehrswege dienten. Thema waren auch die Sturmfluten, die wie die katastrophale Flut von 1634 immer wieder die Deiche zum Brechen brachten. Während des Betriebs des Eiderkanals gab es während der Kontinentalsperre zu Zeiten der Herrschaft Napoleons eine Blütezeit in Tönning, denn seit dem Ende des Gottorfer Staates zum dänischen Gesamtstaat gehörend, konnten im Hafen des im Konflikt mit England neutralen Dänemark noch Waren angelandet werden. Die Bedeutung Tönnings wurde auch deutlich beim Bau der ersten Bahnlinie im Herzogtum Schleswig 1854. Die Strecke führte von Flensburg über Husum nach Tönning. Die Stadtführerin berichtete von negativen Folgen für Tönning, als es 1970 den Sitz des Kreises Eiderstedt verlor.

Die Kreiskarte von Eiderstedt hängt im Kirchspielskrug Tetenbüll. 1970 gin der Kreis Eiderstedt im Kreis Nordfriesland auf. Foto: Volker Heesch

 

Der Ort profitiere aber von der Ansiedlung der Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer im Jahre 1985, nachdem auch industrielle Arbeitsplätze wie in Werftbetrieben verschwunden waren. Nach einem Halt am Geburtshaus des Pioniers der modernen Medizin, Friedrich von Esmarch, der 1823 in Tönning geboren wurde, wurde die Tönniger Kirche besichtigt. „Fast alle Baustoffe sind von der Geest, aber auch von viel weiter her, in die Marsch nach Tönning befördert worden“, so Giesela Mester-Römmer und stellte als prachtvolles Element der Kirche die 500 Quadratmeter große Eichendecke vor, zu einem reich bemalten Tonnengewölbe verarbeitet. Die Zuhörerschaft staunte über die Information, dass das Eichenholz der Decke laut wissenschaftlicher Untersuchung aus England stammt. Die Bäume wurden bei Cambridge vor 1480 geschlagen. Diese Herkunft belegt auch die einst bedeutenden Handelsbeziehungen Tönnings.

In Tetenbüll informierte Hans Jacob Clausen (mit Gehhilfe) die HAG. Foto: Volker Heesch

 

Eine weitere Kirchenbesichtigung erlebten die HAG-Mitglieder in Tetenbüll, der nächsten Station der Exkursion. Durch das dortige Gotteshaus führte der langjährige Vorsitzende des Kirchengemeinderates, Hans Jacob Clausen.

Ländliche Traditionen

Er hatte die Gruppe bereits im Kirchspielkrug Tetenbüll über die Geschichte seines Heimatdorfes informiert, in dem sein Sohn Dietmar heute das Gasthaus führt, in dem die Gruppe aus Nordschleswig die ländliche Traditionsküche des Hauses beim Mittagessen kennenlernte. Clausen berichtete, dass Tetenbüll, heute weit vom Seedeich entfernt liegend, einst ein Hafenort gewesen ist, mit der See durch einen Priel verbunden. Im Mittelalter bestand die heutige Halbinsel Eiderstedt noch aus drei Inseln. „Es wurden Warften aufgeschüttet, ohne Deiche war hier in den Marschen auf lange Sicht nichts zu machen“, so der historisch sehr bewanderte Gastwirt.

Geschichte mit Humor

Humorvoll erläuterte er die Erkenntnis der Archäologen, dass die Warften über die Jahrhunderte mit dem Meeresspiegelanstieg in die Höhe wuchsen. „Die Warften wurden hochgeschissen“, hat ein Archäologe den Vorgang beschrieben, so Clausen, bei dem Dung der zwei- und vierbeinigen Bewohner ebenso wie jede Art von Abfällen für ein höheres Niveau der bei Sturmfluten und bei Deichbrüchen von Wasser umringten Wohnstätten. Clausen wies an der Kirche auf alte Kellergruften hin, und berichtete, dass die 1213 erbaute Kirche auf 35 Meter langen Pfählen ruht.

Die St.-Anna-Kirche in Tetenbüll wäre im Zweiten Welkrieg fast Brandbomben zum Opfer gefallen. Foto: Volker Heesch

 

Das Gotteshaus mit Inventar aus der Zeit vor der Reformation habe mehrfach vor dem Einsturz bewahrt werden müssen. Und noch mehr als 75 Jahre nach dem schlimmen Ereignis sichtlich bewegt berichtete der Gastwirt, dass während des Zweiten Weltkriegs ein von Abfangjägern verfolgtes britisches Flugzeug Brandbomben über Tetenbüll abgeworfen habe. „Die Kirche entging knapp den Bomben, aber mehrere Häuser wurden zerstört, aus der Schule wurden die Brandbomben durch die Fenster herausgeworfen“, so Clausen.

Das Inventar der Tetenbüller Kirche beeindruckte die HAG-Gruppe. Den Altar hat ein Brüggemann-Schüler geschnitzt. Foto: Volker Heesch

 

Er führte die Gruppe zum Altar, wo die niederdeutsche Inschrift „Hr. Serow Momme Dysse Stol gegewen“ an die Stiftungen wohlhabender Gemeindemitglieder zugunsten der Kirche erinnern. In Eiderstedt ist im 16. Jahrhundert die friesische Sprache verschwunden und es wurde niederdeutsch gesprochen. Im Kirchspielskrug hatte der Wirt Dietmar Clausen den Gästen aus Nordschleswig eine Einführung in das in Tetenbüll beliebte Ringreiten und die dort beliebte Traditionssportart Boßeln gegeben.

Der Beichtstuhl in der Kirche zu Tetenbüll stammt aus der Zeit vor der Reformation im 16. Jahrhundert. Foto: Volker Heesch

 

Auch an einem „Mehlbeutels“ (Mehlbüddel) konnte man sich stärken, bevor es weiter nach Garding ging, der zweiten Stadt Eiderstedts, wo Peter Möck und Bernd Laue von der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft Garding die Gruppe empfing und mit ihrem Heimatort bekannt machte.

Das Geburtshaus Theodor Mommsens zählt zu den Schmuckstücken Gardings. Foto: Volker Heesch

 

Dieser war wie Tönning und Tetenbüll auch einst ein Hafenort mit Anbindung an die offene See bei Katingsiel über die Süderbootfahrt und zwei weitere Kanäle hatte. 1912 ist der Hafen zugeschüttet worden.

Die Kirche in Garding ist von schönen Häusern umgeben. Foto: Volker Heesch

 

Bereits 1590 erhielt der heute nur noch über 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner verfügende Ort, der 1575 Marktrecht erhalten hatte, die Stadtrechte. Im Ort residierte lange der Staller, der Vertreter des Gottorfer Herzogs.

In Garding werden Lücken ins historische Stadtbild gerissen. Der „Holsteiner Hof" wird bald abgebrochen. Foto: Volker Heesch

 

Der in Garding amtierende Staller Casper Hoyer hatte sich das Herrenhaus Hoyerswort, die letzte Station der Tagesfahrt, errichten lassen. Es wurde berichtet, dass die St. Christians-Kirche in Garding 1117 auf dem höchsten Punkt im Ort errichtet worden ist. Beim Rundgang berichtete Peter Mölck über viele Lücken im Stadtbild, nachdem einst bedeutende Häuser nach Betriebsschließungen verfallen sind. Allerdings sind zahlreiche Schmuckstücke erhalten, beispielsweise das Geburtshaus des Literatur-Nobelpreisträgers Theodor Mommsen (1817-1903). Dieser war Begründer der Fortschrittspartei und galt als Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstags als ein entschiedener Gegner der Machtpolitik Bismarcks. Der Stadtführer berichtete über einst bedeutende Märkte, woran der Hopfenmarkt noch erinnert, sowie Gasthäuser. Packhäuser sind Zeugnisse des einst für Wohlstand sorgenden Handels mit Agrargütern. So besaß Garding einmal eine Ölmühle. Der Viehhandel wurde über den Bahnhof abgewickelt, als Garding im Jahre 1892 eine Verbindung zum Tönninger Bahnhof erhielt.  

Im Herrenhaus Hoyerswort hängt diese historische Karte von Eiderstedt. Foto: Volker Heesch

 

Zum Abschluss der Tagesfahrt gab es Kaffee und Kuchen im stattlichen Herrenhaus Hoyerswort. Es ist das einzige Herrenhaus in Eiderstedt, erbaut von Caspar Hoyer (1540-1594). Dessen Vater hatte in Diensten des Gottorfer Herzogs Friedrich gestanden, der später als Friedrich I. den dänischen Thron bestieg. Caspar Hoyer ist der Sohn einer unehelichen Tochter des Königs.

 

Das Herrenhaus Hoyerswort ist der einstige „Adelspalast" in Eiderstedt, wo die Bauern traditionell große Selbstverwaltungsrechte besaßen. Foto: Volker Heesch

 

Nachdem Hoyerswort 1587 die Rechte eines Ritterguts erhalten hatte, war es länger im Besitz der Familie Hoyer. Zur Zeit der Belagerung Tönnings 1713 residierte der dänische König auf Hoyerswort. Seit 1771 bis 2011 war das Herrenhaus im Besitz der Familie Hamkens. Seit 2011 ist es der Öffentlichkeit zugänglich, mit Café, Restaurant und Keramikwerkstatt. Im Herrenhaus verriet wertvolles Inventar, welche Bedeutung Hoyerswort in Eiderstedt gehabt hat, wo es keine Adelsherrschaft gegeben hat, aber viele reiche Bauern lange im Rahmen eines Landschaftsrechts mit eigener Landschaftsversammlung zwar dem Landesherrn unterstanden, aber über weitgehende Selbstbestimmungsrechte verfügten.

 

Das Wappen im Herrenhaus Hoyerswort erinnert an die Eigentümerfamilie Hamkens. Foto: Volker Heesch

 

Nach dem Aufenthalt in Hoyerswort wurde die Heimfahrt angetreten. Die Mitglieder der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft sind am Sonnabend, 23. Oktober, 14.30 Uhr, zur Generalversammlung in die Deutsche Schule Tingleff (Tinglev) eingeladen. Näheres wird noch bekanntgegeben.                       

 

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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