Forschung

Auf den Spuren einer schleswigschen Identität

Auf den Spuren einer schleswigschen Identität

Auf den Spuren einer schleswigschen Identität

Nordschleswig/Kopenhagen
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Manfred Christiansen aus Röllum hat Lob für seine Masterarbeit erhalten. Foto: Nicolai Amter

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Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Kultur unter Nord- und Südschleswigern? Diese Frage hat sich der Nordschleswiger Manfred Christiansen für seine Masterarbeit gestellt und dabei interessante Antworten gefunden.

Manfred Christiansen dürfte mit der Abschlussarbeit seines Studiums in deutscher Sprache und Kultur an der Universität Kopenhagen Wichtiges und Richtiges getroffen haben.

Seine Master-Betreuerin bescheinigt ihm, er habe „spannende und neue Forschung“ betrieben, und Christiansen darf sich nun mit einer 10 im Zeugnis „Master of Art“ nennen.

In seiner Masterarbeit untersucht Manfred Christiansen welche Gemeinsamkeiten es unter den Minderheiten im Grenzland gibt. Foto: Manfred Christiansen

Mit der Abschlussarbeit „Hundrede år efter delingen af Slesvig“ hat er sich auf Spurensuche begeben. Fast einem Detektiv gleich hat er Hinweise, Indizien, Beweise zusammengetragen und Zeugen befragt. Die Frage, die er sich gestellt hatte: Hat 100 Jahre nach der Teilung des einstigen Herzogtums noch eine gemeinsame schleswigschen Identität überlebt? Auf die Antwort werden wir noch zurückkommen.

Geringes Wissen über Minderheiten

Zunächst zur Antwort auf eine andere Frage, nämlich die, wie der Nordschleswiger überhaupt auf die Idee kam, dies zu untersuchen.

„Beim Studium kamen wir auf das Jubiläum der Abstimmung zu sprechen. Als ich über die Minderheit berichtete, merkte ich, dass meine Studienkolleginnen und -kollegen überhaupt nichts darüber wussten. Für sie war das sehr exotisch, und sie fanden es spannend, dass ich Winkel präsentieren konnten, an die sie nie gedacht hatten“, berichtet Christiansen.

So entstand die Idee zur Masterarbeit, wobei ihm schnell klar wurde, dass er forschungsmäßiges Neuland betreten würde. Die meisten Untersuchungen zum Thema Grenzziehung und Identität der Minderheiten sind historischer Art, er wollte jedoch die Situation heute untersuchen.

Schulen als Vermittler von Kultur

Dabei nutzte er bewusst die eigenen Erfahrungen als Hintergrund. Aufgewachsen ist der 58-Jährige in Röllum (Røllum) bei Apenrade (Aabenraa). Zunächst besuchte er die Deutsche Schule in Feldstedt (Felsted) und in der Oberstufe dann die Deutsche Privatschule in Apenrade. 1982 machte er sein Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig (DGN).

Die Schulen der Minderheiten nördlich und südlich der Grenze sind einer der zentralen Fokuspunkte seiner Arbeit.

„Die Schulen sind ja einer der wesentlichsten Orte, um Kultur weiterzugeben. Ich erlebte das ganz deutlich am DGN, wo mir auch mein Mathematiklehrer Kultur vermittelte.“

„Der Nordschleswiger“ im dänischen Haushalt

Für seine Arbeit hat Christiansen fünf ausführliche Forschungsinterviews mit Lehrkräften der Schulen der Minderheiten geführt. Ergänzend hat er mit dem Leiter des Deutschen Museums in Sonderburg (Sønderborg), Hauke Grella, gesprochen.

 

Ich hatte vor Beginn meiner Arbeit vermutet, dass es diese Gemeinsamkeiten im Grenzland gibt, dass es jedoch so ausgeprägt ist, hat mich dann doch überrascht.

Manfred Christiansen, mag. art. in deutscher Sprache und Kultur

Bei den Interviews entdeckte er auch in den Details wichtige Informationen. So lag bei der ehemaligen Leiterin A. der dänischen Schule in Husby ein Exemplar des 14-tägig erscheinenden „Norschleswigers“ im Regal. Sie hatte die Zeitung aus der deutschen Schule des Enkelkindes in Pattburg (Padborg) mitgenommen.

„Ich finde es interessant, weil es bedeutet, dass für sie auch lokale Neuigkeiten von der anderen Seite der Grenze relevant und wichtig sind. Da gibt es offensichtlich einen gemeinsamen Nenner“, so der frisch gebackene Master.

„Gewusel“ von Sprachen

Auch bei den übrigen Interviews entdeckte er solche Gemeinsamkeiten. Eine, die Christiansen auch aus der eigenen Kindheit kennt, ist das stetige Wechseln zwischen den Sprachen. Davon berichtet unter anderem die ehemalige Rektorin des DGN, die in der Arbeit I. genannt, von Leserinnen und Lesern des „Nordschleswigers“ jedoch unschwer als Ilse Friis erkannt wird.

„Wobei I. meint, dass es sowohl lustig und natürlich ist, dass vier Sprachen, also Deutsch, Dänisch, Sønderjysk und Friesisch, ‚in einem Gewusel‘ gesprochen werden. Während sie dieses Code-Switching in der Freizeit befürwortet, sollte der Unterricht in nur einer Sprache abgehalten werden“, heißt es in der Arbeit.

Laut Christiansen sieht die ehemalige Rektorin die Sprache vor allem als Trägerin von Kultur, während sich die Minderheitenidentität vor allem durch die Mehrsprachigkeit und die Abstammung aus dem Grenzland definiert.

Vision vom gemeinsamen Schulsystem

Besonders spannend findet der Röllumer auch die Aussagen von L., die Lehrerin an der dänischen Schule in Schafflund (Skovlund) ist. Sie hat eine Vision von einem gemeinsamen Schulsystem über die Grenze hinweg, das sowohl die Minderheiten- als auch die Mehrheitsschulen umfassen soll.

„Ich hatte vor Beginn meiner Arbeit vermutet, dass es diese Gemeinsamkeiten im Grenzland gibt, dass es jedoch so ausgeprägt ist, hat mich dann doch überrascht.“

Neue schleswigsche Identität

In der Schlussfolgerung seiner Arbeit kommt Christiansen zu dem Ergebnis, dass es durchaus eine gemeinsame schleswigsche Identität gibt. Dennoch beantwortet er die eingangs gestellte Frage gewissermaßen mit einem „Nein“.

„In meiner Problemformulierung habe ich die These aufgestellt, dass von der alten schleswigschen Kultur aus der Zeit vor 1864 etwas überlebt hat. Doch davon konnte ich keine Spuren entdecken“, betont er.

Die heutige Grenzlandidentität sei daher eine neue.

„Die hat sich vor allem in den jüngeren Jahren entwickelt. Es wird weiterer Forschung bedürfen, um festzustellen, warum es diese Entwicklung gegeben hat.“

Selbst wird Manfred Christiansen diese Forschung wohl nicht betreiben: Er strebt den Lehrberuf an einem Gymnasium an.

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