Leitartikel

„Privatschulen machen die Volksschule nicht schlecht“

Privatschulen machen die Volksschule nicht schlecht

Privatschulen machen die Volksschule nicht schlecht

Kopenhagen/Nordschleswig
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Es ist eine immer wiederkehrende Diskussion: die Flucht aus der Volksschule. Doch es ist eine gekünstelte und unnötige Konfrontation, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Privatschule. Dieser Begriff löst bei vielen Assoziationen mit einer elitären Schule für die Reichsten aus. So mag es in einigen Ländern sein, doch in Dänemark haben die Privat- und Freischulen einen ähnlichen Stellenwert wie die dänischen Volksschulen und sind in vielen Bereichen sogar mit der Folkeskole gleichgestellt.

Dennoch gibt es immer wieder Diskussionen über die angebliche Flucht aus der allgemeinen Volksschule – oder wie zuletzt über die „Flucht“ zu den Privatschulen, wie der TV-Sender „TV2“ seine neue Serie zum selben Thema betitelte.

Dabei ist der Titel irreführend, denn der Anteil der Schülerinnen und Schüler an den Privat- und Freischulen ist zwar von 14 Prozent (2009) auf 19,2 Prozent  (2021) gestiegen, doch die faktische Zahl ist in dieser Periode gleichbleibend um die 121.000. Es gehen also nicht „immer mehr“ in eine Privatschule.

Dänemark hat eine lange Tradition für Privat- und Freischulen, die auch staatlich gefördert werden. Sie stehen in keinem Widerspruch zu den Volksschulen, sondern sind ein integrierter Teil des dänischen Schulsystems. Dazu gehören übrigens auch die Schulen der deutschen Minderheit in Nordschleswig.

Nur weil eine Schule privat ist, ist das aber längst keine Garantie für Qualität. Und umgekehrt gilt auch für die Volksschule, dass diese nicht automatisch schlecht ist. Es gibt viele sehr gute Volksschulen, und es gibt sicherlich auch einige nicht so gute Privatschulen.

Es ist aber in der heutigen Gesellschaft so – ob man diese Entwicklung mag oder nicht –, dass wir viel schneller reagieren, wenn etwas nicht den Erwartungen entspricht. Dann gehen wir eben woanders hin. Das gilt für das Restaurant, den Fittnessclub, den TV-Anbieter und natürlich auch für die Schule.

Wenn sie die gewünschte Leistung nicht bringt (oder bringen kann), dann schauen sich die Eltern heute eher nach Alternativen um – und das geht beide Wege – auch wenn ein Schulwechsel eine schwierige und weit reichende Entscheidung ist, die nicht unmittelbar mit dem heutigen Verbrauchermuster vergleichbar ist.

Ein weiterer Grund, weshalb es in Dänemark mehr als 500 Frei- und Privatschulen gibt, ist die Kommunalreform von 2007. Viele Kommunen haben im Zuge der Reform kleine Schulen geschlossen. Dort haben Eltern und die Ortsgemeinschaft oft energisch für den Erhalt ihrer Schule gekämpft und eben private Lösungen gefunden.

Die dänischen Frei- und Privatschulen sind daher selten elitäre Einrichtungen. Es gibt sie, aber die Mehrzahl der Schulen ist ein Spiegel der Gesellschaft und ein Lernort für alle. Das belegen übrigens auch die sozioökonomischen Vergleiche, die zeigen, dass die Elternschaft in den Privat- und Freischulen einen etwas schlechteren oder denselben Hintergrund hat wie Eltern an den Volksschulen. Also keineswegs elitär.

Auch die Kritik, die Privat- und Freischulen würden sich die besten Schüler aussuchen, lässt sich nicht bestätigen. Zahlen vom Institut für Menschenrechte aus dem Jahr 2018 belegen, dass 15,3 Prozent der Schülerinnen und Schüler an dänischen Privat- und Freischulen eine Diagnose wie Aufmerksamkeits- oder Lernstörungen haben – in der Volksschule waren es zum Vergleich 14,7 Prozent.

Statt auf die Privatschulen zu schießen und die dänische Volksschule schlechtzureden, wäre in Zukunft ein positiver Ansatz für alle ein Vorteil. Es gibt auch in der Volksschule jede Menge gute Geschichten, die – in allen Bereichen – als Vorbild für die schulische Arbeit dienen könnten.

Dann hätten wir auch nicht immer wieder die leidige Diskussion, in der versucht wird, eine Konfrontation zwischen Frei- und Privatschulen auf der einen und die Volksschule auf der anderen Seite zu schüren.

Man kann viele Meinungen über das dänische Schulsystem haben, aber die Koexistenz von Volks-, Privat- und Freischulen war noch nie ein Grund dafür, dass im Schulsystem im Staate Dänemark etwas faul sein sollte.

 

 

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