Krieg in der Ukraine

„Warum nur muss Putin über die Ukraine bestimmen?“

„Warum nur muss Putin über die Ukraine bestimmen?“

„Warum nur muss Putin über die Ukraine bestimmen?“

Apenrade/Aabenraa
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„Wir haben sehr gut gelebt, ohne Krieg”, sagt Oleksiy Baga aus Fünenshaff (Fynshav). Foto: Karin Riggelsen

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Oleksiy Baga kommt aus der Ukraine und lebt seit 16 Jahren in Dänemark. Am Tag nach seinem 40. Geburtstag marschierte Putin in sein Heimatland ein. Seine Eltern wollen das Land nicht verlassen, um sie macht er sich große Sorgen. Von Dänemark wünscht er sich, dass es Flüchtlingen aus der Ukraine zügig einen Asylstatus einräumt.

Schon den ganzen Tag lang klingelt immer wieder das Telefon von Oleksiy Baga. Am anderen Ende der Leitung ist dann immer wieder einer von mehreren Landsleuten, die gerade dabei sind, Hilfe für die Ukraine zu organisieren.

Oleksiy entschuldigt sich beim Gesprächspartner vom „Nordschleswiger“ und sagt, er sei müde, die vergangenen beiden Nächte habe er sehr schlecht geschlafen.

„Ich bin am 23. Februar 40 Jahre alt geworden. Und am Morgen danach greift Putin die Ukraine an.“ Der Schrecken steht ihm in die Augen geschrieben.

Noch in den Tagen zuvor habe er mit seiner Familie, die in Sumy im Osten der Ukraine wohnt, darüber gesprochen, dass die Invasion kommen könnte, weil so viele Soldaten aufgezogen waren, aber bis zuletzt hatten sie gehofft, dass es nicht passieren würde. „Am Donnerstagmorgen um 5 Uhr hat dann meine Schwester angerufen. Ich habe gesagt ‚Guten Morgen‘, aber sie sagte, nein, das ist kein guter Morgen, über uns wird mit Artillerie geschossen.“ Sie musste dann mit ihrem Sohn Schutz im Keller ihres Wohnblocks suchen. Aus der Stadt rauszukommen sei nicht möglich, alles wäre blockiert, eine Brücke sei gesprengt worden, und eine Busverbindung gebe es auch nicht mehr. Es sei so, als sitze sie in der Falle,  sagt Oleksiy und schaut besorgt drein.

Am Donnerstagmorgen um 5 Uhr hat dann meine Schwester angerufen. Ich habe gesagt ‚Guten Morgen‘, aber sie sagte, nein, das ist kein guter Morgen, über uns wird mit Artillerie geschossen.

Oleksiy Baga

Ansonsten wäre seine Schwester nämlich zu ihren Eltern geflüchtet, die im Umland von Sumy auf dem Lande wohnen. „Dort ist es ruhiger. Meine Eltern haben erzählt, dass da am Donnerstag nur russische Kolonnen durchgefahren sind, es gab keine Kämpfe.“ Und dennoch gibt es ein großes Problem. Sein Vater hat Diabetes und Asthma und benötigt deshalb Medikamente. Aber alle Apotheken seien geschlossen, die Banken und Geschäfte auch, und die Tankstelle sei bei einer Explosion zerstört worden. Zwar hätten seine Eltern noch für ein paar Tage Lebensmittel und auch Insulin, aber wie sein Vater künftig Nachschub bekommen soll, dass wüssten sie nicht.

Seit 2006 in Nordschleswig zu Hause

Der 40-Jährige lebt seit 2006 in Dänemark. Damals war er für ein Praktikum in der Landwirtschaft nach Nordschleswig gekommen. Zwölf Jahre lang hat er dann auf einer Minkfarm in Norburg (Nordborg) gearbeitet, danach bei Danish Crown in Blans (Blans). Dann bekam er Corona und konnte anschließend seiner Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Seit Januar dieses Jahres ist er Student am UC Syd in Apenrade (Aabenraa) im Fach „Technisches Design“.

„Ich war sehr verliebt in das Land Dänemark, als ich hierherkam. Wie die Menschen denken, leben, arbeiten. Es gibt keine Korruption, und alles ist möglich für Menschen, wenn sie arbeiten. Und man kann hier in Ruhe leben und ohne Angst abends auf die Straße gehen“, sagt Oleksiy. Zusammen mit seiner Frau und zwei Töchtern wohnt er in Fünenshaff (Fynshav). Dort haben sie ein Haus gekauft und renoviert. Damit liegen zwischen ihm, seinen Eltern und seiner Schwester mehr als 2.000 Kilometer. 

Ich war sehr verliebt in das Land Dänemark, als ich hierherkam. Wie die Menschen denken, leben, arbeiten. Es gibt keine Korruption, und man kann hier in Ruhe leben.

Oleksiy Baga

„Auch meine Eltern haben nicht geglaubt, dass russische Truppen in die Ukraine einmarschieren würden. Das konnten sie sich einfach nicht vorstellen. ‚Wie konnte das passieren?‘ fragen beide. Wir haben zusammen in einem Land gewohnt, wir haben den Russen nichts Schlechtes getan, warum sind sie jetzt gekommen? Warum nur muss Putin über die Ukraine bestimmen?“

Trotz der verfahrenen Lage falle es den Menschen dort schwer, ihre Heimat zu verlassen. „Sie haben ihr ganzes Leben lang für ihr Haus gearbeitet, sie wollen jetzt nicht alles zurücklassen“, sagt Oleksiy. Seine Eltern werden demnächst beide 70.

Seit Januar dieses Jahres studiert Oleksiy Baga am UC Syd in Apenrade (Aabenraa) im Fach „Technisches Design“. Foto: Karin Riggelsen

Hoffnung auf die dänische Regierung

Dennoch hat er einen Funken Hoffnung. Und der stützt sich vor allem darauf, dass die dänische Regierung aktiv wird. „Ich hoffe, dass die dänische Regierung es offiziell macht, dass man einen Flüchtlingsstatus bekommen kann. Sodass wir Hilfe bekommen und nicht nur ein Touristenvisum für 90 Tage. Wohnen, Essen, das kriegen wir alles selbst hin. Aber es wäre gut, wenn die dänische Regierung uns helfen würde, indem sie uns Papiere gibt und Medikamente“, so Oleksiy. Dann wolle er versuchen, seine Eltern und seine Schwester gemeinsam mit ihrem Sohn zu überzeugen, doch noch die Ukraine zu verlassen und nach Dänemark zu kommen.

Ich hoffe, dass die dänische Regierung es offiziell macht, dass man einen Flüchtlingsstatus bekommen kann. So dass wir Hilfe bekommen und nicht nur ein Touristenvisum für 90 Tage. Wohnen, Essen, das kriegen wir alles selbst hin.

Oleksiy Baga

Einige seiner ukrainischen Freunde, die ebenfalls in Dänemark leben, planen, an die polnisch-ukrainische Grenze zu fahren, um dort Verwandte und Freunde aufzusammeln. Und Oleksiy würde dann genau das Gleiche tun.

Russische Propaganda

Wobei jedoch nicht seine gesamte Verwandtschaft nach Dänemark kommen würde. 

Kopfschüttelnd berichtet Oleksiy von seiner Tante, der Schwester seines Vaters, die in Russland lebt. Sie habe eine SMS geschrieben, dass es keinen Grund zur Sorge gebe, denn Russland komme doch schließlich nicht, um die Ukraine anzugreifen, sondern um sie zu befreien. „Aber befreien von was?“, fragt Oleksiy. „Wir haben sehr gut gelebt, ohne Krieg. Meine Tante kann das, was jetzt in der Ukraine vor sich geht, nicht glauben. Sie denkt wie viele andere in Russland auch, dass Putin nicht angreift, sondern befreit. Die russische Propaganda ist sehr erfolgreich“, sagt er.

Und erklärt dies damit, dass die russische Bevölkerung grundsätzlich keinen Zugang zu unabhängigen Medien habe. Und deshalb den Botschaften des Staatsfernsehen Glauben schenke. Das gelte auch für den östlichen Teil der Ukraine, der sehr russisch geprägt sei. Auch dort habe das russische Fernsehen mit seiner Propaganda eine große Rolle gespielt.

Meine Tante kann das, was jetzt in der Ukraine vor sich geht, nicht glauben. Sie denkt wie viele andere in Russland auch, dass Putin nicht angreift, sondern befreit. Die russische Propaganda ist sehr erfolgreich.

Oleksiy Baga

„Die russische Regierung bezeichnete 2014 alle ukrainischen Patrioten als Faschisten. Die Menschen im östlichen Teil der Ukraine wollten dann gegen die sogenannten Faschisten kämpfen. Die haben das russische Fernsehen geguckt und an die Propaganda geglaubt – mit katastrophalen Konsequenzen“, erinnert sich Oleksiy an die Massenproteste in Kiew Ende 2013 und zu Beginn des Jahres 2014. Den Protest gegen den damaligen Präsidenten Janukowitsch habe Russland einfach umgedreht und behauptet, dass es sich um einen Protest gegen Russland handelte. Dabei sei es ein Protest gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten gewesen, der zu korrupt und kriminell gewesen sei.

Zu langes Zögern des Westens

Oleksiy ist zudem überzeugt, dass der Westen zu lange gewartet, zu viel geredet und zu wenig gehandelt habe. Und findet deswegen, dass die Ukraine jetzt umgehend Marschflugkörper bekommen müsse, um sich verteidigen zu können. Ansonsten habe die Ukraine keine realen Waffen gegen die russischen Panzer, Flugzeuge und Artillerie. „Und dann wird es bald keine Ukraine mehr geben, sondern nur noch eine Region von Russland. Das wäre sehr traurig. Mitten in Europa“, meint Oleksiy.

Sollte es dazu kommen, ist Oleksiy überzeugt, werde Putin kaum in der Ukraine haltmachen. „Wenn er sieht, dass die Nato zu schwach ist, dann kommt Putin nach ganz Europa. Wenn er sieht, das kann man sich nehmen, dann nimmt er es sich“, ist sich Oleksiy sicher.

Wie es jetzt weitergeht, das weiß er aber auch nicht. Sie seien in einer Situation, in der sie nicht viel machen könnten. Nun gehe es darum, Familie, Freunden und Verwandten so gut wie möglich zu helfen. „Ein Ukrainer sammelt jetzt Geld, um Medikamente und erste Hilfe für die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten zu kaufen, und dann will er sie selbst in die Ukraine bringen. Er hat ein kleines Unternehmen und ist immer unterwegs. Das organisieren wir jetzt telefonisch.“

Und schon klingelt Oleksiys Mobiltelefon erneut. Es wird ganz bestimmt nicht das letzte Mal sein an diesem zweiten Tag des Krieges in der Ukraine.

„Auch meine Eltern haben nicht geglaubt, dass russische Truppen in die Ukraine einmarschieren würden. Das konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Wir haben zusammen in einem Land gewohnt, wir haben den Russen nichts Schlechtes getan, warum sind sie jetzt gekommen?“ Foto: Karin Riggelsen
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