Geschichte

Dänischer Nordschleswiger und treuer deutscher Soldat

Dänischer Nordschleswiger und treuer deutscher Soldat

Dänischer Nordschleswiger und treuer deutscher Soldat

Apenrade/Aabenraa
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Das Buch „I Ildlinjen“ wurde erstmals 1933 veröffentlicht. Foto: Gad

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Die kompetent kommentierte Neuausgabe der Kriegserinnerungen H. C. Brodersens „I Ildlinjen“ aus dem Ersten Weltkrieg gibt Einblick in die besondere Zwangslage der 1914 bis 1918 gegen ihren Willen an die Front geschickten jungen Männer. Den späteren dänischen Polizisten verfolgte die Doppelrolle bis in die Besatzungszeit 1940 bis 1945.

Während der vergangenen Jahre, als in Dänemark und besonders in Nordschleswig dem 100 Jahre zurückliegenden Ersten Weltkrieg mit dem Kriegseinsatz Tausender auch dänisch gesinnter Nordschleswiger in der Armee des deutschen Kaiserreiches gedacht wurde, sind zahlreiche Bücher veröffentlicht worden, die sich besonders mit dem Kriegsdienst der dänischen Nordschleswiger in deutschen Uniformen befassten. Viele dieser Männer haben die Niederlage Deutschlands, die Volksabstimmungen als Ergebnis des Versailler Friedensvertrags und die neue Grenzziehung mit der Vereinigung Nordschleswigs mit Dänemark nicht mehr miterlebt.

1913 ließ sich H. C. Brodersen mit Kameraden während des Militärdienstes in Danzig fotografieren. Der dänische Nordschleswiger war auf Betreiben eines örtlichen deutschen Funktionärs in eine Kaserne fern der Heimat geschickt worden. Foto: Forlag Gad

Zu den Überlebenden, die Zeugnis von den Schrecknissen des Ersten Weltkriegs abgelegt haben, gehörte der 1891 im Sundewitt geborenen Hans Christian Brodersen, der 1971 im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Unter dem Titel „I Ildlinjen“ (In der Schusslinie) H. C. Brodersens Krigsdagbog 1914-1918“ ist das Werk nach einer Erstveröffentlichung 1933 jetzt versehen mit einer Einleitung und wertvollen Kommentaren der Historiker Martin Bo Lidegaard, Claus Bundgaard Christensen und René Rasmussen neu im Verlag Gad erschienen. Das durch viele erschütternde Passagen über grausame Kämpfe an der Front geprägte Buch ist auch deshalb interessant, weil es unter Mitwirkung der dänischen Autoren Cai M. Woel und Marcus Lauesen, deren Werke einst große Auflagen erlebten, erstmals 1933 veröffentlicht wurde – mit dem Motto „nie wieder Krieg“, was Assoziationen mit dem Anti-Kriegs-Werk und Welterfolg „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque aus dem Jahre 1928 weckt.

Foto: Gad Forlag

Das Besondere an den Aufzeichnungen Brodersens, die kaum als Original-Tagebuch zu werten sind, sind die darin vernehmbaren  „zwei Herzen in einer Brust“: Der junge Nordschleswiger, der zutiefst dem Dänentum in seiner Heimat verbunden ist und von großer Distanz zu den in seiner Kindheit und Jugend dort bestimmenden deutschen Herrschaftskreisen geprägt war, wird während seines Militärdienstes in Danzig 1911 bis 1913 und nach dem Beginn seines Einsatzes gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis zur Rückkehr in die Heimat 1919 auch in den Bann des deutschen militärischen Apparates gezogen.

Beförderung zum Unteroffizier

Besonders auch seine „Karriere“ bis in den Rang eines Unteroffiziers und das jahrelange Zusammenleben mit deutschen wie dänisch-nordschleswigschen Kameraden an Brennpunkten des mörderischen Krieges hat sich in einer Identifikation mit der eigenen Armee, vor allem mit den engsten Kameraden, weniger mit den mehrfach als dünkelhaft und menschenverachtend beschriebenen Offizieren, niedergeschlagen. Die an der Herausgabe des Werkes beteiligten Historiker weisen schon fast entschuldigend auf die Perspektive Brodersens, wer Freund und wer Feind war, hin, der in Nahkämpfen französischen und britischen Soldaten niederkämpfen musste, um nicht selbst das Leben zu verlieren.

H. C. Brodersen erlebte völlig verwüstete Kriegssschauplätze wie an der Somme in Frankreich 1916. Foto: Gad Forlag

Beeindruckend sind Passagen, wie sich auch Brodersen und seine Kameraden mit „feindlichen“ Soldaten in den oft nur wenige Meter entfernten Schützengräben auf privaten Waffenstillstand verständigten, bevor Befehle von oben die Soldaten wieder zu tödlichen Gefechten hetzten. Brodersen liefert viele interessante Beobachtungen, wie sich die Soldaten am Leben halten mussten.

Trennung von der Familie

Sehr beeindruckend sind auch die Abschnitte, die auf die jahrelange Trennung des Autors von der eigenen Familie, er hatte geheiratet und eine Tochter bekommen, eingehen. Besonders erschütternd sind die Ausführungen darüber, wie Brodersen kurz vor Kriegsende in französische Gefangenschaft geriet, unter unmenschlichen Bedingungen, die ihn fast das Leben gekostet haben. Über das Lager Aurillac, das für gefangene dänische Nordschleswiger eingerichtet worden war, ging es für Brodersen zurück nach Nordschleswig, wo viele Familien um ihre gefallenen Angehörigen trauerten und die Volksabstimmungen schon absehbar waren. 

Das Foto zeigt H. C. Brodersen im Jahre 1940 als Polizist. Foto: Museum Sønderjylland

Hochinteressant ist die Nachschrift zu Brodersens Erinnerungen. Die Herausgeber der Neuauflage berichten darin, dass Brodersen 1919 zunächst wieder als Postbote tätig war, wie vor 1914.

Mitglied in CIS-Polizei

Allerdings meldete er sich bereits im September für die Polizeieinheiten der Internationalen Kommission (CIS), die ab 10. Januar bis zur Übergabe Nordschleswigs (Abstimmungszone 1) an Dänemark und Rückkehr der Abstimmungszone 2 (Mittelschleswig) an Deutschland am 15. Juni 1920 im heutigen Grenzland als Ordnungsmacht fungierten. Im Sommer 1920 wurde Brodersen dänischer Polizist. Er war an vielen Orten im Einsatz, unter anderem in Kollund, wo er von 1922 bis 1931 mit Schmugglern zu tun hatte. Der frühere Unteroffizier in der kaiserlichen Armee habe sich mit Kollegen angelegt, deren Auftreten und Betragen er offenbar als unpassend empfand. Nach Tätigkeit in Apenrade, wo die Polizei mit der nazigeprägten deutschen Minderheit zu tun hatte, wurde Brodersen offenbar für eine Zeit nach Röm (Rømø) strafversetzt.

In den Händen der Gestapo

1944 wieder in Apenrade wurde Brodersen zusammen mit sechs Kollegen von der Gestapo verhaftet, nachdem die dänische Widerstandsbewegung im Februar Anschläge auf Apenrader Betriebe verübt hatte, die für die Besatzungsmacht arbeiteten. Im Text heißt es, der Festnahme der Polizisten waren Beschuldigungen in der „Nordschleswigschen Zeitung“ vorausgegangen, die Apenrader Polizei stecke mit den „Saboteuren“ unter einer Decke. Es wird berichtet, dass Brodersen eine entscheidende Rolle gespielt habe, dass die Apenrader Polizisten aus den Fängen der Gestapo freigekommen sind. Er habe nach Verlegung der Apenrader ins deutsche Hauptquartier „Dagmarhus“ in Kopenhagen den dortigen Oberkriminalkommissar Walter Neuhaus zunächst durch seine guten Deutschkenntnisse beeindrucken können. Und als Neuhaus herausfand, dass er 1918 im gleichen Frontabschnitt wie Brodersen gekämpft hatte, erwarb der Nordschleswiger das Vertrauen des zuvor grausamen Beamten.

Verdacht der Deutschenfreundlichkeit

Es wird aus nicht veröffentlichten Erinnerungen Brodersens zitiert, dass dieser, dem es gelungen war, die Kollegen zu befreien, indem er Neuhaus als einstigen Kriegskameraden erweichen konnte, in Verdacht geriet, deutschenfreundlich zu sein. Es wurden ihm sogar Berichte aus der Kriegszeit nachträglich übelgenommen. Brodersen scheint sehr unter den Verdächtigungen gelitten zu haben, die sogar zu seiner Suspendierung führten. Auch wenn er schon Ende 1945 wieder in den Polizeidienst zurückkehrte und bis zur Pensionierung 1956 in Apenrade beschäftigt war. Die Autoren weisen zurecht darauf hin, dass die deutsch-dänische Geschichte viele oft übersehene Aspekte enthält, dass in dänischen und deutschen Nordschleswigern, wie beim einstigen Weltkriegssoldat „zwei Herzen in einer Brust“ schlagen konnten. Hans Christian Brodersen: I Ildlinjen. Gad København 2021. 202 Seiten. Preis: 249,95 Kronen.

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