Standpunkt

„Geschichtsklitterung“

Geschichtsklitterung

Geschichtsklitterung

Frank Lubowitz
Apenrade/Aabenraa
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Frank Lubowitz ist Leiter von Archiv/Historische Forschungsstelle  der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig. Zum Artikel „Freundschaftslied sucht Mitglieder für Bürgerchor“ der am 18. Oktober im „Nordschleswiger“ erschienen ist, hat er einen Standpunkt verfasst. 

Geschichtsklitterung
Oftmals ist gut gemeint das Gegenteil von gut … Und gut gemeint, mag die Idee eines Freundschaftsliedes ja sein, das „das Verhältnis von Deutschland und Dänemark anhand einer langen Straße, die man gemeinsam gegangen ist“ seit der „friedlichen Abstimmung“ 1920 beschreibt. 
Historisch gesehen, ist es aber grober Unfug! 

Nichts war friedlich oder gar freundschaftlich bei der Abstimmung 1920. Erbittert wurde auf Plakatwänden, Flugblättern und in Ansprachen auf Versammlungen um jede Stimme gekämpft. Die einen ersehnten sich den Abschied vom preußischen Adler, die anderen wollten um keinen Preis „Jüten“ werden. 

Erst nach 100 Jahren kann man im Rückblick von einer Grenze sprechen, die die Stürme der Zeit überstanden hat. Aber In den Jahrzehnten nach 1920 sah das noch anders aus. Vor allem die deutsche Minderheit in Dänemark forderte bis 1945 energisch eine Grenzrevision nach Norden. Aber auch in Dänemark blieb in gewissen Kreisen der Wunsch nach der Danewerk- oder gar Eidergrenze bestehen, um dann nach 1945 im Landesteil Schleswig noch einmal massiv zum Ausbruch zu kommen. 

Es war auch diese Grenzfrage von 1920, die aus dem Versailler Vertrag hervorgegangen war, die zum frühen Aufstieg des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein und zur schnellen Übernahme dieser Ideologie durch die deutsche Minderheit führte. In den Gegensätzen, die daraus erwuchsen – bis hin zur deutschen Besetzung Dänemarks im Zweiten Weltkrieg – steckte weder Friede noch Freundschaft und es war gewiss keine „Straße, die man gemeinsam gegangen ist! 

Und wie lange hat es nach dem Zweiten Weltkrieg gedauert, bis friedliche oder gar freundschaftliche Verhältnisse zwischen den jeweiligen Minderheiten und Mehrheiten auf beiden Seiten der Grenze eingekehrt sind? Das fiel weder 1945 mit dem Ende des Zeiten Weltkrieges noch 1955 mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom Himmel, sondern war ein mühsamer und oftmals steiniger Weg.

Brückenbauer – wie es so gerne gesagt wird – sind die beiden Minderheiten doch erst in den letzten Jahrzehnten geworden.
Das aber in die Vergangenheit der gesamten letzten 99 Jahre zu projizieren, hieße einen „Friede-Freude-Eierkuchen-Zuckerguss“ über eine lange, schwierige und oftmals konfliktreiche Geschichte zu gießen, was einer massiven Geschichtsklitterung gleichkommt. 

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