Kommentar

„Europatag an der Grenze“

Europatag an der Grenze

Europatag an der Grenze

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Berlin
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Am Sonnabend feiert Europa den Europatag, wie jedes Jahr, am 9. Mai. Doch gibt es in Corona-Zeiten etwas zu feiern? Ein Kommentar von Jan Diedrichsen.

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Jan Diedrichsen, war bis 2019 Leiter des Sekretariats in Kopenhagen, er ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker und leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel.

Seit Wochen sind wir zur Heimarbeit verpflichtet. Ich bin in Berlin, eine schöne Wohnung mit Balkon und eine Stadt, die man lieben muss, wenn man sie kennenlernt, sind nicht die schlechtesten Wegbegleiter. Erst Ostern kam für mich die Wende. Anfangs war der erzwungene Rückzug gefühlt gar nicht so übel. Natürlich wurde einem mulmig, wenn Sicherheitskräfte tagelang das Klopapier in den Supermärkten bewachen mussten und eine gespannte Unruhe, bei den wenigen verbliebenen Menschen auf den Straßen der Stadt, schien greifbar. Aber wirkliche Sorge, dass wir gar am Anfang vom Ende stehen sollten, hatte ich nie.

Ostern kippte bei mir die Stimmung; von einer etwas surrealistisch anmutenden „gezwungenen Einkehr“ wurde ich immer nachdenklicher und auch pessimistischer: Mir wurde etwas sehr Banales bewusst, nämlich, dass ich mich in meiner kommoden „Einsiedelei“ nicht freiwillig befinde. Auch wenn ich wollte, könnte ich nicht nach Hause. Nicht nach Nordschleswig, um beim Osterbrunch die Familie zu sehen. Klar, als dänischer Staatsbürger hätte ich mich sicher irgendwie an der Grenze „durchgeschlagen“ – aber das hätte den Verlust meiner Arbeit bedeutet. Zwangsquarantäne wäre die Folge. Natürlich steht der Gesundheitsschutz im Vordergrund und die nicht zuletzt in den Straßen von Berlin neuerdings nachzuvollziehenden „Öffnungsorgien“ finde ich befremdlich bis erschreckend. Doch die Tatsache, dass ich in Berlin festsitze, hat mich seit Ostern gedanklich nicht mehr losgelassen.

Was hat dies alles mit dem heute gefeierten Europatag zu tun? Die EU, es klingt hart, ist in der ersten Phase der Krise gescheitert. Krachend gescheitert. Wenig bis nichts, war von europäischer Solidarität zu spüren. Die Bilder in Italien und Spanien waren herzzerreißend. Doch in den ersten Wochen galt nur: nationale Brille auf und jeder steht und fällt für sich alleine. Deutschland verhängte einen Exportstopp für Schutzkleidung und –güter. Die Europäische Kommission tat einem beinah leid, in ihrer offensichtlichen Hilflosigkeit. Stattdessen gab es chinesische und russische Hilfslieferungen. Peinlicher geht es kaum.

Nirgends wird derzeit das Scheitern eines Europas der Freizügigkeit deutlich sichtbarer als an den Grenzen, auch an der deutsch-dänischen Grenze. Ein großes Kompliment geht an die Kollegen vom Nordschleswiger, für ihre gute Berichterstattung und das ewige Nachbohren. Es zeigt, wie fragil die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Wahrheit ist. Hier wird nach Corona einiges an Nachdenken geboten sein – auf beiden Seite der Grenze und dabei vor allem hoffentlich gemeinsam! Ich wiederhole mich: Gesundheitsschutz ist oberstes Gebot, aber Abschottung kann nur in einer strikt gewahrten Verhältnismäßigkeit (die meines Erachtens nicht mehr gegeben ist) temporär Geltung haben.

Am Europatag wird einem noch mal schmerzlich bewusst, dass wir an einem Wendepunkt stehen. Es wird nicht „einfach so“ weitergehen können. Die EU hat in der Krise in aller Schonungslosigkeit ihre Schwächen gezeigt. Billionen werden nun – zu Recht – in die Rettung unserer Wirtschaft gesteckt. Was uns in den nächsten Wochen und Monaten blüht, mit Eckdaten, die die Finanzkrise von 2009 in den Schatten stellen und nur mit den Zahlen aus der großen Depression in den 20er Jahren annähernd verglichen werden können, wird sich zeigen. Mulmig wird einem allemal.

Doch Europa, die EU, wird auch als Wirtschafts- und Währungszusammenschluss scheitern, wenn es nicht enger zusammenwächst und sich neue Regeln gibt. Ja, das bedeutet, dass weitere Souveränität abgegeben werden muss. Das ist ein Thema, mit dem man in Dänemark von allen Seiten politische Prügel bezieht, aber für Europa dennoch richtig ist. Was sollen die ganzen salbungsvollen Worte uns am heutigen Europatag sagen, wenn sie an der einfachen Solidarität der ersten Tage einer wirklichen Krise und an den geschlossenen Grenzen ad absurdum geführt werden.

 

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