Wort zum Sonntag

„Das Wort zum Sonntag, 29. August 2021“

Das Wort zum Sonntag, 29. August 2021

Das Wort zum Sonntag, 29. August 2021

Hauptpastorin Dr. Rajah Scheepers der Sankt Petri Kirche, Die deutschsprachige Gemeinde in der Dänischen Volkskirche
Rajah Scheepers
Nordschleswig
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Das Wort zum Sonntag, 29. August 2021, von Rajah Scheepers, Hauptpastorin der Sankt Petri Kirche in Kopenhagen.

Was uns Menschen vor allen anderen Geschöpfen auszeichnet, das ist die Sprache. Um menschlich leben zu können, bedürfen wir der Sprache. Es ist das Merkmal des Menschen, dass er sich nicht nur in Zeichen und Gebärden mitteilen kann, sondern dass er im Stande ist, Worte zu sprechen, die Welt in Worten darzustellen. Worte geben ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, sie lassen einen in der Welt zu Hause sein.

Im letzten Predigttext ging es um einen Menschen, der taub und stumm war, Menschen brachten ihn zu Jesus und baten diesen, dass er sich dieses Menschen annehme, dass er die Hand auf ihn lege. Und tatsächlich - Jesus hat diesen Menschen geheilt. Der Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann hat mich durch seine Auslegung dieses Textes sehr beeindruckt, und davon möchte ich euch etwas mitgeben. Drewermanns Buch über das Verständnis von Wundererzählungen war das erste theologische Buch, das ich zu Beginn meines Studiums in Marburg gelesen habe. Drewermann vertritt eine tiefenpsychologische Exegese, also eine Auslegung der Bibel, die sich an den Erkenntnissen der Tiefenpsychologie orientiert. Taub und stumm, das ist ja nicht nur ein Krankheitsbild eines Menschen, der nicht hören kann und deshalb auch nicht reden kann. Taub und stumm, das ist auch ein Ausdruck für Menschen, die ihre Ohren verschlossen haben und die nicht mehr im Stande sind zu reden, wirklich über sich und von sich zu reden. Es sind Menschen, die ihre Ohren und ihren Mund verschlossen haben und halten, weil ihnen die Ohren und ihr Mund verstopft wurden mit Worten, die alles Reden verhindern. Ihr kennt das vielleicht selber, dass man als Kind schon oft genug das Reden verboten bekommt: „Du hast hier nichts zu sagen; du hältst jetzt den Mund, sei nicht so vorlaut. Wenn Erwachsene reden, haben Kinder den Mund zu halten. Jetzt rede ich und kein anderer." oder: „Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause" ..., das bedeutet, wenn Erwachsene reden, müssen die Kinder schweigen. Ihr kennt vielleicht andere Sprüche, die uns in Kindertagen gesagt worden sind.

Und wir könnten dies auch noch auf eine Ebene hin erweitern, wenn wir die Stummheit sehen, die uns befällt angesichts von Unrecht in dieser Welt. Wer kann noch Worte finden angesichts dessen, was sich gerade in Afghanistan abspielt? Babys, die über eine Mauer gereicht werden, damit sie eine bessere Zukunft haben, Menschen, die sich an Flugzeug festklammern und herunterfallen oder Judokakämpferinnen, die ihre Turnmatten küssen, weil sie ahnen, dass sie fortan nicht mehr werden Sport treiben dürfen – ebensowenig wie zur Schule gehen, studieren oder arbeiten. Wer wird da nicht stumm vor Entsetzen bei all diesen Bildern und Berichten? Doch wir werden nicht nur stumm, wir werden auch taub. Taub für die Bedürfnisse anderer. Dänemark und viele andere Länder haben bereits Flüchtlinge aus Afghanistan aufgenommen, während der österreichische Bundeskanzler erklärt, in seinem Land sei kein Platz. Sind unsere Ohren und Augen verstopft, dadurch, dass wir tagtäglich so viel Leid und Unrecht über die Medien zu sehen bekommen, dass wir resignieren und deshalb in Stummheit verfallen?

Jesus vertrauensvolle Zuwendung zu dem taubstummen Menschen hat dazu geführt, dass er aus dieser inneren Vereinsamung herausgekommen ist, dass sich für ihn der Himmel und sein Leben sich geöffnet hat. Eine Wundertat, die wir nicht tun können? Gewiss, wir können das Elend der Welt nicht ändern, können nicht die ganze Welt retten, aber wir können der Stummheit der Welt entgegenstehen, indem wir Hand und Mund, Herz und Verstand einsezten, um uns für diese Welt und für die Menschen einzusetzen, die uns begegnen. Wir können Räume öffnen, wo wir wirklich einander offen und ehrlich gegenüber stehen, wo wir uns nicht von dem beeindrucken lassen, was uns die Ohren verstopft. Jesus ist uns Hilfe dazu, er öffnet uns den Himmel. Ja, der Himmel ist offen. Gottseidank.

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