Wort zum Sonntag

„Das Wort zum Sonntag, 2. Oktober 2022“

Das Wort zum Sonntag, 2. Oktober 2022

Das Wort zum Sonntag, 2. Oktober 2022

Pastor Axel Bargheer, Kopenhagen
Axel Bargheer
Nordschleswig
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Das Wort zum Sonntag, 2. Oktober 2022, von Axel Bargheer, Pastor der Deutsch Reformierten Kirche in Kopenhagen

„Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden“

Dieses Sprichwort aus Israel wird vom Propheten Ezechiel (Hesekiel) aus dem Alten Testament überliefert. Als ich ihm vor etlichen Jahren zum ersten Mal begegnete, fand ich es unmittelbar einleuchtend und anschaulich. Denn es beschreibt doch sehr schön bildhaft, wie das Verhalten vergangener Generationen das Leben der jetzigen prägt und vorherbestimmt. Und in Zeiten von Klimawandel, Überkonsum und offensichtlicher Ungerechtigkeit erscheint es heute aktueller als je zuvor.

Auf der anderen Seite verleitet solch ein Satz zu einer vereinfachten Sichtweise auf unsere Welt. Denn er beschreibt höchstens die halbe Wahrheit. Neben den Problemen, die uns belasten, sind da auch die guten Dinge und Annehmlichkeiten, auf die wir nicht verzichten wollen: medizinischer und technologischer Fortschritt, größere persönliche Entfaltungsmöglichkeiten, mehr Sicherheit und Wohlstand. All das wird als selbstverständlich empfunden oder als etwas, auf das man einen Anspruch hat, angesehen. Aber die Freiheitsrechte, auf die wir uns in Anspruch nehmen, und vieles, was das Leben sicherer und angenehmer macht, haben wir uns nicht selbst zu verdanken, sondern denen, die vor uns waren. Sie haben es erstritten, erarbeitet oder vorbereitet. Und wir konnten das dann einfach übernehmen und weiterführen. Es ist nicht besonders hilfreich, wenn wir nur einen Teil des Erbes betrachten.

Vor allem aber taugt dieser Sinnspruch wenig zur Abrechnung. Wer ihn benutzt, um damit auf andere zu zeigen und anderen Schuld zuzuweisen, hat wenig verstanden. Schuldzuweisungen sind unproduktiv und nicht zukunftsweisend, denn sie sehen nur in die Vergangenheit. Erst wenn man die Fehler der Vergangenheit erkennt und jetzt etwas besser macht, nähert man sich dem Sinn und dem Kern der Lebensweisheit. Ezechiels Vers ist deshalb nichts für die Besserwisser und Alles-richtig-Macher, sondern für die, die wissen, dass sie selbst die Väter und Mütter sind, deren Verhalten für die nachfolgenden Generationen Einfluss und vielleicht schwerwiegende Konsequenzen hat.

Damit es nicht bei folgenloser Empörung und dem Zeigen mit dem Finger auf andere bleibt, ist es wichtig, die Perspektive zu wechseln. Wir haben nicht nur die Konsequenzen der Fehler anderer zu tragen, sondern sind auch die, die durch unser Verhalten das Leben unserer Kinder und Kindeskinder bestimmen. Dann – und nur dann – können wir etwas zum Besseren verändern und vermeiden, dass den Kindern die Zähne stumpf werden.

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