Leserbrief

„Hitler in Dänemark – zweiter Anlauf“

Hitler in Dänemark – zweiter Anlauf

Hitler in Dänemark – zweiter Anlauf

Jutta Kristensson
Schwentinental
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Im Streit um das Wirken von Werner Best, SS-Mitglied und Reichsbevollmächtigter in Dänemark im Zweiten Weltkrieg, antwortet Jutta Kristensson auf einen Leserbrief von Siegfried Matlok.

Am heutigen Tag, dem 9. April 2022, denke ich mit Trauer an die Opfer des deutschen Faschismus in Dänemark und Europa. Ich verneige mich vor allen, die den Widerstand wagten gegen das terroristische Besatzungsregime.

Mittlerweile haben sich vier Leserbriefe zum Thema „Hitler in Dänemark" angesammelt. Zuerst meine Kritik (03.03.2022) an Matloks Herausgeberschaft, danach S. Matlok mit seiner Gegenkritik (09.03.2022). Dann haben P. Brix (17.03.2022) und M. B. Christiansen (31.03.2022) meine Kritik als eher „sachlich" anerkannt, die auf „fachliche" Mängel hinweisen wolle. Vielen lieben Dank für diese Unterstützung.

Abschließend möchte ich mich zu meiner Person äußern und darüber hinaus auf Ressourcen hinweisen, die eine breitere Basis ausmachen, welche zu einem differenzierten Urteil über W. Best führen könnten.

Ich denke und schreibe auch als Urenkelin einer Jüdin, studierte Germanistik, Judaistik, Pädagogik, schrieb eine Dissertation mit dem Titel „Identitätssuche in Post-Shoa-Lyrik" (2000), unterrichtete als Studienrätin im Hochschuldienst an der Uni Kiel in Seminaren wie „,Erziehung nach Auschwitz".

Durch diesen Werdegang als Literaturwissenschaftlerin ist mir die komplexe Problematik Holocaust nicht ganz unbekannt geblieben. Eine kleine Auswahl an Literatur möchte ich vorstellen, um W. Best weniger als „Retter der dänischen Juden", sondern eher als juristischen und logistischen Wegbereiter der Menschenjagd auf Feinde des „deutschen Volkskörpers" zu zeigen.

Ohne den Blick auf die ursächlichen Zusammenhänge gelingt keine tiefgehende Analyse über die tatsächlichen Verantwortungen der eigentlichen Täter. Best ist in diesem Falle ein bürokratischer Schreibtischtäter, der radikaler und inhumaner nicht gedacht werden kann. Matlok und ich fokussieren unterschiedliche Ausschnitte des Lebens von Best. Nun zu den ausgewählten Ressourcen in chronologischer Reihenfolge und ich danke P. Brix für diesen konstruktiven und inspirierenden Begriff:

1. Das Referenzmodell für die Herausgabe einer heiklen historischen Autobiografie ist der Text „Kommandant von Auschwitz", autobiografische Aufzeichnungen des Rudolf Höß, herausgegeben von Martin Broszat, München 1958. Der Herausgeber M. Broszat zeigt für mich eine beispielhaft kritische Haltung dem historischen Text gegenüber.

2. Aage Bertelsen, „Oktober 43", München 1960. Hier beschreibt ein dänischer Fluchthelfer seinen lebensgefährlichen Einsatz, denn die eigentlichen Retter der dänischen Juden wurden gesucht, verhaftet, erschossen. Deshalb flieht Bertelsen nach Schweden und schreibt: „Damals beherrschte ich noch nicht genügend die neue deutsche Sprache des Regimes, ich hätte sonst gewußt, daß dieses Gerede (Best leugnet die „Judenaktion" im September 43) in Wirklichkeit bedeutete: Wir werden die Juden, solange noch ein einziger in Dänemark ist, Tag und Nacht jagen ..." (Bertelsen, S. 25).

3. Raoul Hilberg „Die Vernichtung der europäischen Juden" Bd. 1-3, Frankfurt 1982. In diesem Standardwerk erfahren wir die Phasen und Mitwirkenden der Judenverfolgung: „Was mit den Juden geschah, bleibt ohne Einblick in die Entscheidung deutscher Beamter in Berlin ... unverständlich" (S. 28). Und Best war, seit 1931 Mitglied der SS, einer von ihnen, Jurist im Reichssicherheitshauptamt. Mehrfach tätig als vorauseilender Ideengeber. Über Dänemark finden wir interessante Einzelheiten, was Best angeht (S, 586-596). Best wollte die dänische Regierung unter Druck setzen, um endlich gegen die Juden vorzugehen (S. 588). Deshalb schlug er vor (24.04.1943; Best an Auswärtiges Amt) zumindest die staatenlosen Juden – Flüchtlinge aus Deutschland – zu deportieren. Berlin lehnt diesen Vorstoß ab. „Am 8. September 1943 schickte Best ein Telegramm nach Berlin mit dem Vorschlag, den Ausnahmezustand für die Deportation der Juden zu nutzen. Zu diesem Zweck benötige er Polizei, Soldaten und Schiffe" (Hilberg, S. 589). Das war es, was man in Berlin hören wollte. „Am 28. September 1943 meldete Best nach Berlin, man werde die Deportationen in einer einzigen Nacht, der vom 1. und 2. Oktober abwickeln" (Hilberg, S. 591). So viel zu Best als angeblichen „Retter" der dänischen Juden VOR Matloks Publikation. Von Duckwitz Aussage, Best sei ein „Retter", ist der Situation eines Freundes geschuldet. Best, in Erwartung der Todesstrafe, sollte im Prozess geholfen werden. Gelang aber nicht.

4. Die Habilitationsschrift von Ulrich Herbert, „Best, Biografische Studien", Bonn 1996, zeigt für mich das Doppelspiel des hochintelligenten Juristen Best. Hinter einer kultivierten Fassade und im Brillieren von Sekundärtugenden (Gehorsam, Fleiß, Pünktlichkeit) zeigt sich ein anderes Gesicht. Völkische, rassistische, antidemokratische Radikalität: „Mit diesen Vorschlägen – Beschneidung von Bürgerrechten für Juden – hatten Best und Heydrich erstmals auf Chefebene 1935 die Iniative in der „Judenpolitik" des Regimes ergriffen (Ulrich, S. 210). Ein kleiner Ausflug in die Entlastungslügen des W. Best nach 1945 in Matloks Interview. Best: „Ich achte das dänische Volk..., wie ich jedes andere Volk achte" (Matlok, S. 207). Bei H. Ulrich hört es sich radikal anders an und er zitiert aus Bests Schriften vor 1945: „Wir können auch den achten, den wir bekämpfen, vielleicht vernichten müssen" (Ulrich, S. 245). Einen Höhepunkt zynischer Beschönigungen erreicht Best mit der Bezeichnung von Konzentrationslagern als „Kuranstalten" (Ulrich, S. 626).

5. Letztendlich möchte ich auf Bo Lidegaard hinweisen, der Best in seinem Text „Die Ausnahme", München 2013, gesichert charakterisiert: „Best verstand wirklich etwas vom Doppelspiel" (S. 210). Best arbeite mit „purer Heuchelei" (S. 234) und „wollte als der ,GUTE NAZI' respektiert werden und scheint den fundamentalen Widerspruch dieser Definition gar nicht realisiert zu haben" (Lidegaard, S. 554). Diesen Zwiespalt, diese gefährlichen Paradoxien zu entlarven, wäre eine sinnvolle Analyse. Fast genug Stoff für die Gründung eines Leseclubs.

Die Gesinnung des S. Matlok interessiert mich weniger, mich interessieren Sorgfalt und Redlichkeit bei der Text-Edition und Deutung. Es lag und es liegt mir fern, S. Matlok „etwa als Nazi zu verdächtigen" (Leserbrief 9. März 2022). Sollte der Eindruck entstanden sein, so ist dies ein Missverstädnis, das ich bedauere. Begründete Stellungnahmen zu Nazigrößen sollten in demokratischen Gesellschaften willkommen sein. Wölfe im Schafspelz sollten entlarvt werden. Zumal der rechtsradikale Flügel der AfD völkische Parolen wiederbelebt mit Sprüchen von „ethnischer Homogenität”. Wir sollten wachsam sein und bleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jutta Kristensson

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