Leitartikel

„Zeit für eine ehrliche Antwort“

Zeit für eine ehrliche Antwort

Zeit für eine ehrliche Antwort

Apenrade/Aabenraa
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Regierungschefin Mette Frederiksen hat in einem Interview Eckpunkte einer längerfristigen Corona-Strategie vorgestellt. Das wäre auch etwas für ihre deutsche Amtskollegin, meint „Nordschleswiger"-Redakteur Helge Möller.

Wer Grenzlandbewohner ist, vielleicht in dem einen Land arbeitet und in dem anderen wohnt, verfolgt vermutlich aufmerksam die Politik der zwei Länder, weil Regierungsentscheidungen sich ab und an direkt auf die eigene Person auswirken.

Das gilt in der jetzigen Situation umso mehr, denn die Entscheidungen in Berlin, Kiel und Kopenhagen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie machen die Fahrt ins Nachbarland einfacher oder schwerer. Zurzeit schwerer.

Doch auch ein Vergleich aus reinem Interesse kann interessant sein. Bei der komplexen Frage, wie eine Pandemie zu bekämpfen ist, gibt es durchaus verschiedene Ansätze und Entwicklungen, siehe die Diskussionen um den „schwedischen Weg" oder auch das globale Thema unterschiedlicher Impffortschritt, in dem die Summe kleiner und großer politischer Entscheidungen sichtbar wird.

Während sich Landesregierungen in Deutschland beeilten, noch vor Weihnachten Impfzentren zu errichten, hörte man zu diesem Zeitpunkt aus Dänemark zu diesem Thema recht wenig, dann aber meldete die Region Süddänemark, die Impfzentren seien eingerichtet, und es wurde ohne größere zeitliche Lücke mit dem Impfen begonnen.

Vielleicht war es auf deutscher Seite ein Fehler, die Impfzentren früh der Bevölkerung vorzustellen, denn aus Mangel an Impfstoff ist der Publikumsverkehr dort immer noch eher bescheiden.

Die Erwartung der Menschen, dass nun bald das normale Leben in greifbare Nähe rückt, war jedoch mit dem schnellen Aufbau der Impfzentren auf deutscher Seite geweckt, Enttäuschung über das langsame Impfen im Besonderen und der trostlosen Situation im Allgemeinen macht sich nun in der Bundesrepublik breit. Es häufen sich die Rufe nach einer Perspektive, nach einer längerfristigen Ansage und einer nüchternen Analyse der Situation.

Die dänische Regierungschefin hat in einem Interview mit der Zeitung „Berlingske“ einen Schritt in diese Richtung getan – anders als die Bundesregierung. Mette Frederiksen machte deutlich, was viele wahrscheinlich nach der Durchsicht der Nachrichten bereits ahnen. Die Sache zieht sich wie Kaugummi, wir müssen uns im Königreich an umfangreiche Tests und an Grenzkontrollen gewöhnen, die Impfstoffe werden aufgrund der Mutationen das Coronavirus höchstwahrscheinlich nicht plötzlich aus der Welt fegen. Das alles sind Dinge, die wir nicht hören wollen, die aber vermutlich der Zukunft, die immer ungewiss ist, recht nahe kommen.

Der deutsche Satiriker Sebastian Pufpaff hat in seiner Sendung „Noch nicht Schicht“ genau das in seiner eigenen grandiosen Art vor einiger Zeit angesprochen. Die Regierung müsse sagen, wie es längerfristig weitergehen soll und was auf den Steuerzahler in den kommenden Jahren zukommen wird. Stattdessen wird in Deutschland nur auf Sicht gefahren, von Verlängerung des Shutdowns zu Verlängerung des Shutdowns.

Natürlich kann kein Mensch genau sagen, wie sich die Sache entwickeln wird, weil die Pandemie von vielen Parametern abhängt. Doch zeichnet sich ein Bild ab, und genau dies hat Mette Frederiksen angesprochen. Nicht mehr und nicht weniger.

Was auf den Steuerzahler zukommen wird – dieses Thema umschifft die dänische Regierung aber auch. Um die Wiedervereinigung zu finanzieren, war ein Solidaritätszuschlag nötig – über Jahrzehnte. Deutschland und Dänemark unterstützen Unternehmen und Selbstständige, was gut ist, aber in einer stillen dunklen Winterstunde ohne Restaurant-, Theater- oder Kneipenbesuch (oder alles auf einmal) fragt man sich schon, wo das Geld dann irgendwann herkommen soll. Auch eine Frage, die demnächst einmal ganz ehrlich und sachlich beantwortet werden sollte, gern in beiden Ländern.

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