Leitartikel

„Wir sind Teil der Geschichte“

Wir sind Teil der Geschichte

Wir sind Teil der Geschichte

Nordschleswig/Sønderjylland
Zuletzt aktualisiert um:

Jon Thulstrup hat seine Forschungsarbeit über die Vergangenheitsbewältigung in der deutschen Minderheit begonnen. Dazu müssen alle beitragen, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Es gehört mit zu den spannendsten Themen in der deutschen Minderheit überhaupt – ist aber gleichzeitig auch eines der Schwierigsten: die Geschichte der deutschen Volksgruppe und vor allem ihr Umgang mit der Vergangenheit.

Mit der Vergangenheit sind stets die Kriegsjahre sowie die Zeit davor und danach verbunden. Viele Minderheitenangehörige leisteten – aus verschiedenen Gründen – dem Nazi-Regime Adolf Hitlers Folge.

In der Minderheit hat es mehrere Anläufe zur Vergangenheitsbewältigung gegeben. Teils zu früh, teils halbherzig, teils sogar ausgebremst. Dadurch hat sich die Minderheit, verglichen mit Deutschland, erst zu einem späten Zeitpunkt und nur zögerlich mit der eigenen Geschichte befasst, wie Jon Thulstrup am Wochenende auf dem Knivsberg sagte.

Er hat seine Forschungsaufgabe begonnen in der es just um die Minderheitengeschichte in dieser schwierigen Zeit geht.  

Bisher haben sich vor allem dänische Historiker mit der Minderheitengeschichte befasst, und sind mit ihren Befunden bei einigen deutschen Nordschleswigern auf Kritik gestoßen: Diese Historiker hätten ein zu hartes und ungerechtes Urteil über die Minderheit gefällt. Ein drittes Mal also in der Opferrolle, nachdem die Minderheit von den Nazis verführt, und bei der Rechtsabrechnung durch Gesetze mit rückwirkender Kraft verurteilt worden war?

Doch wenn diese nun glauben, dass Jon Thulstrup, der aus den eigenen Reihen der Minderheit kommt, milder urteilen wird, der muss umdenken.

Der Historiker wird keine Geschichtsfälschung betreiben – und das möchte auch niemand. Am wenigsten die deutsche Minderheit, die die Doktorandenstelle an der Süddänischen Universität in Odense mitfinanziert. Es geht um eine ehrliche Aufarbeitung und einen Einblick in eine Zeit, die die Minderheit über Jahrzehnte auch definiert hat.

Es geht laut Thulstrup darum, dass die Minderheit selbstkritisch und selbstbewusst mit der eigenen Geschichte umgeht. Hoffentlich wird er den bereits gewonnenen Erkenntnissen seiner dänischen Kollegen neue Nuancen hinzufügen können, damit wir die Zeit der 30er und 40er Jahre besser verstehen lernen.

Denn darum geht es: Nicht, um Täter ausfindig zu machen, und nicht um die Minderheitengeschichte schönzuschreiben, sondern darum, unsere Vorfahren zu verstehen und daraus zu lernen.

Dazu können wir alle beitragen. Zu Hause liegen Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen von Vätern, Söhnen, Brüdern, die für die Forschungsarbeit wichtig sein können. Auch – oder vor allem – wenn sie die unschöne Seite unserer Minderheitengeschichte zeigen. Denn darin liegt die wahre Stärke der eigenen Vergangenheitsbewältigung. So schwer es auch fällt.  

Mehr lesen

Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wenn Minderheiten als Gefahr für andere dargestellt werden“