Leitartikel

„Weniger geschliffene Meinungsmacher – mehr engagierte Idealistinnen“

Weniger geschliffene Meinungsmacher – mehr engagierte Idealistinnen

Mehr engagierte Idealistinnen!

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Im Folketing und in der Regierung wimmelt es von studierten Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftlern. Cornelius von Tiedemann hat nichts gegen das Studienfach, hält die Entwicklung aber dennoch für problematisch.

Meinungen können sich ändern – Fakten und Wissen sind beständig – und somit verlässlich.

Deshalb wäre es doch eigentlich gut, wenn so viele studierte Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler wie möglich für unsere Politik zuständig wären – und sich alle anderen darum kümmern würden, ihr theoretisch erlerntes Wissen umzusetzen.

Könnte man meinen. Doch der Frust über die Gleichförmigkeit der politischen Klasse in Dänemark nimmt spürbar zu. Und das ist gefährlich. Nicht brandgefährlich – dazu ist Dänemark eine viel zu gesunde Demokratie. Aber doch besorgniserregend. Weil dann, wenn Politikerinnen und Politikern misstraut wird, der nächste Schritt, dem politischen System und letztlich der Demokratie insgesamt zu misstrauen, nicht weit ist. Und weil jeder Mensch, der der Demokratie abschwört, einer zu viel ist.

Nun leben wir jedoch in einer Welt, in der für viele Menschen der Eindruck besteht, dass sich die Dinge und Zusammenhänge rasend schnell und irgendwie immer zum eigenen Nachteil verändern. Und so erscheinen einfache Antworten als attraktive Auswege – vom Chaos hin zur Sicherheit.

Die Politik hat sich darauf spezialisiert, solche Antworten anzubieten.

Die Krux: Nicht allein der Glaube oder die Überzeugung, dass etwas wahr ist, macht es wahr. Nicht der Umstand, dass Spindoktoren und studierte Politikerinnen und Politiker mit sprachlichen und rhetorischen Griffen dafür sorgen, dass Dinge uns plausibel erscheinen, machen diese Dinge plausibel.

Allein das Wissen darum, weshalb eine Behauptung wahr ist, macht sie zur Gewissheit. Und somit zu einer soliden Grundlage von Politik.

Leider ist es nun aber nicht so, wie Plato es sich Sokrates wünschen ließ, dass die Weisheit, wenn sich zwei nebeneinander setzen, von dem einem, der voll von ihr ist, in den anderen fließt, wie bei Bechern, die durch einen Wollstreif miteinander verbunden sind.

Und deshalb brauchen Politikerinnen und Politiker Lebenserfahrung abseits der Politik, bevor sie sich der großartigen und ehrenvollen Aufgabe annehmen, andere Menschen zu vertreten – und ihre Lebenswirklichkeit in bestimmte Bahnen zu lenken.

Sie sollten im Idealfall Wahrheiten erleben, erfahren und prüfen, anstatt sich einseitig lediglich durch ein erfolgreich absolviertes Studium der Politikwissenschaften und diverse Praktika und Beraterjobs im politischen System darin auszuzeichnen, Meinungen durchzusetzen.

Und sie sollten für eine Sache brennen. Nicht ideologisch beschränkt – aber von der aus Erfahrung gereiften Überzeugung beseelt, das Leben der Menschen nicht nur verbessern zu wollen, sondern auch zu können.

Letzteres wünschen sich die Menschen von Politikerinnen und Politikern. Und wenn sie ihnen das abnehmen, wofür sie stehen – und zugleich Vertrauen in die menschlichen Fähigkeiten und die Sachkompetenz haben – dann neigen sie sehr stark dazu, solche Kandidatinnen und Kandidaten auch zu wählen.

Leider wird das Angebot an solchen Politikern kleiner. Nicht nur gefühlt – sondern tatsächlich. Das Folketing, wie andere Parlamente auch, wird inzwischen von Absolventen einiger weniger Hochschul-Fachbereiche dominiert. Ob auf den Bänken oder im Hintergrund in den Abgeordnetenbüros. Was rüberkommt sind im durchorchestrierten Politik-Betrieb heute oftmals nicht Leidenschaft für die Sache und Ehrfurcht vor der Verantwortung, sondern kühle Strategie, einstudierter Professionalismus und zynisches Kalkül.

Wer sich in dieser Welt behaupten will, braucht nicht nur Talent, Wille und Wagemut. Wer nicht die nötige machtpolitische Kompetenz mitbringt oder sie sich zumindest durch Berater sichert, hat im gnadenlosen Spiel der Politik heute weniger Chancen denn je.

Doch wenn der Politik mehr vertraut werden soll, dann sollte sie sich mit den Menschen, die sie regiert, wieder mehr vertraut machen. Nicht durch plumpen Populismus, durch zur Schau getragene Volksnähe und einfache Scheinwahrheiten, die bereits ausreichend im Angebot sind.

Sondern dadurch, dass nicht nur die Bevölkerung in ihrer Vielfalt, sondern auch ihr Wissen und ihre Weisheit angemessen in Parlament und Regierung vertreten werden. Von Parteien, die sich trauen, Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen, die das politische Handwerk vielleicht noch nicht vollumfänglich beherrschen, dafür aber wissen und verstehen, wo der Schuh drückt – und weshalb!

Das können und sollten unbedingt auch Politikwissenschaftler sein – solange ihre akademischen Bestrebungen nicht einzig und allein darauf ausgerichtet sind, politische Karriere zu machen. Meine ich.

 

 

Mehr lesen

Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“

Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Die Bonus-Milliarden für die Minkzuchten sind eine Farce“