Leitartikel

„Von Mensch zu Mensch“

Von Mensch zu Mensch

Von Mensch zu Mensch

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

In einer Welt, in der Computer uns immer mehr Arbeit abnehmen, uns vieles ersparen und anderes ermöglichen, sollten gerade öffentliche Betriebe die große Chance ergreifen, die frei gewordenen Ressourcen für mehr Service zu nutzen, meint Cornelius von Tiedemann.

Dänemark ist Digitalisierungsweltmeister. Das ist in vielfacher Hinsicht ein Segen. Stunden, gefühlt Jahre, die Menschen in Deutschland in Behördenfluren damit verbringen zu überprüfen, ob ihre Wartenummer sich im Laufe der Zeit möglicherweise reduziert hat, werden in Dänemark zu Minuten am Computer- oder Smartphonebildschirm.

Das ist Zeit, die anders genutzt werden oder ganz entspannt verstreichen kann. Portemonnaies sind auch leichter geworden. Wir bezahlen mit dem Telefon, oder in nostalgischen Momenten auch mal mit der Karte. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Es gibt allerdings auch eine Fehlentwicklung. Der menschliche Faktor geht vielerorts verloren. Das hat auch Margrethe Vestager kürzlich angemerkt. Die geschäftsführende Vizepräsidentin der EU-Kommission ist ja neuerdings nicht mehr nur EU-Kommissarin für Wettbewerb – sondern auch für „Digitales“.  Zahlreiche Unternehmen und Einrichtungen nutzen die Digitalisierung nämlich nicht nur zum Vorteil der Kunden, Bürger, Passagiere, Klienten. Sie nutzen sie schlicht als „Rationalisierung“ – als Möglichkeit, Geld zu sparen.

Deutlich zu spüren ist das zum Beispiel im öffentlichen Verkehr in Dänemark. Vielerorts fühlt man sich richtiggehend alleingelassen. Niemand da am Bahnhof, der einem Auskunft geben kann. Sollte man an einer Service-Hotline einen echten Menschen an den Hörer bekommen, hat dieser auch nur selten hilfreichere Tipps als den, es an anderer Stelle zu versuchen, die aber erst am Montag wieder erreichbar ist.

Erlebnisse dieser Art gibt es in allen möglichen Bereichen. Und übrigens gab es schon vor dem Einsatz digitaler Techniken für Normalsterbliche undurchschaubare Behördenlabyrinthe und dergleichen. Franz Kafka hat einen nicht unbedeutenden Teil seiner Schaffenszeit darauf verwendet, diese zu beschreiben.

Und es ist eben nicht die Schuld der Technik, wenn die, die sie nutzen sollen (und vielfach auch wollen) von den Menschen, die sie anbieten, alleine gelassen werden.

Wir legen bei unserem eigenen Digitalisierungsprozess großes Gewicht darauf, dass „Der Nordschleswiger“ auch nach Februar 2021, wenn die Tageszeitung auf Papier wegfällt, nah an den Menschen bleibt – ja, dass er noch näher an die Leserinnen und Leser, an die deutsche Minderheit insgesamt, heranrückt.

Denn unser Projekt ist kein Sparprojekt – sondern ein Schritt dahin, die Menschen dort zu erreichen, wo sie heute und morgen sind. Wer uns (zu christlichen Zeiten) anruft, mit dem sprechen wir, von Mensch zu Mensch. Wer uns besucht, in Apenrade, Tondern, Hadersleben, Tingleff oder Sonderburg, den empfangen wir, und dem hören wir zu.

Bei vielen, auch bei so wichtigen Unternehmen wie den DSB, ist das heute nicht mehr unbedingt der Fall. Die menschliche Schnittstelle wurde weggespart. Der Kunde ist nicht mehr König, er soll sehen, wo er bleibt im digitalen Selbstbedienungsladen. Der Schriftsteller Knud Romer beklagt in einem Beitrag für „Politiken“ völlig zu Recht, dass es hanebüchen ist, wenn Transportminister Benny Engelbrecht gerade jetzt die zum Verbraucherschutzbund „Tænk“ gehörende Abteilung „Passagerpulsen“ nicht mehr finanziert.

Und das, weil dieser die Interessen der Passagiere sammelt und vertritt und ihre Kritik an den DSB formuliert – und dieses, so Engelbrechts Ministerium, möglicherweise dem Image der Bahn schade, wodurch weniger Menschen sich für den öffentlichen Verkehr entscheiden könnten.

Wer so mit konstruktiver Kritik umgeht, muss sich nicht wundern, wenn Verdruss entsteht. In einer Welt, in der Computer uns immer mehr Arbeit abnehmen, uns vieles ersparen und anderes ermöglichen, sollten gerade öffentliche Betriebe die große Chance ergreifen, die frei gewordenen Ressourcen für mehr Service zu nutzen. Von Mensch zu Mensch.

Mehr lesen

VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
„Sudan am Rande einer Hungersnot“

Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“