Leitartikel

„Überzeugende Argumente“

Überzeugende Argumente

Überzeugende Argumente

Apenrade/Aabenraa
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Dänemarks Regierung fährt eine europaskeptische Linie. Doch Macron und Merkel könnte es gelingen, den antieuropäischen Automatismus auch in Kopenhagen zu durchbrechen, meint Cornelius von Tiedemann. Ihr Plan zum Neuaufbau nach der Corona-Krise sei nämlich zu verlockend, um ihn abzulehnen.

Paris und Berlin wollen, dass sich Europa solidarisch und gemeinsam aus der Corona-Krise kämpft. Bei den Ego-Trippern des Kontinents, zu denen sich auch Mette Frederiksen in Kopenhagen zählen lassen kann, kommt das in einer Zeit, in der sich nationale Regierungschefs als starke Frauen und durchsetzungsstarke Kämpfer für Wohl und Sicherheit des eigenen Volkes aufspielen, natürlich nicht gut an.

Dabei wären sie, wäre gerade Dänemark, gut beraten, den Neuaufbau Europas an vorderster Front mitzugestalten. Denn in Aussicht stehen große Chancen für die dänische Wirtschaft, den dänischen Wohlstand und somit auch für die dänische Wohlfahrt.

Der Haken: Dänemark müsste wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und sein finanzielles Engagement für Europa ausbauen. Etwas, das Mette Frederiksen und ihrem Team nicht schmeckt. Schließlich wollen die Sozialdemokraten weiter auch bei jenen Menschen punkten, die ansonsten die EU-Gegner von der Dänischen Volkspartei wählen würden.

Und so wie in Kopenhagen geht es derzeit vielen Regierungen in Europa. Sie versprechen den Wählerinnen und Wählern Sicherheit, indem sie proklamieren, den Einfluss von Brüssel, von „außen“, möglichst kleinzuhalten und die Interessen des eigenen Landes vorrangig zu behandeln.

Dass die Interessen des eigenen Landes auch und besonders darin liegen könnten, ein starkes und handlungsfähiges Europa hinter sich zu wissen, ist ein Gedankenschritt, den so mancher Politiker seinen Wählerinnen und Wählern nicht zumuten will – auch, weil sich so das Bild einer von allen äußeren Einflüssen frei agierenden Regierung nicht aufrechterhalten lässt.

Bisher ist es Europas Regierungen ausgezeichnet gelungen, dafür zu sorgen, die EU mit einem Vorbehalt nach dem anderen im Europäischen Rat, dem Organ der nationalen Staats- und Regierungschefs, zu diskreditieren und zu destabilisieren. Hier wird immer wieder dafür gesorgt, oft im Verbund kleinerer oder größerer Ländergruppen mit Regierungschefs, die einander sympathisch sind, dass als nationale Interessen verkappte machtstrategische Interessen von Regierungen die europäische Agenda torpedieren.

Das Ergebnis ist eine oftmals handlungsunfähige EU, der so von den nationalen Regierungen die Schuld an Problemen zugewiesen werden kann, die diese Regierungen dann national angehen und sich so profilieren.

Die Opposition in Dänemark spielt das Spiel derweil nicht mehr mit. Durch die bürgerlich-liberalen Reihen weht ein lange nicht gespürter europäischer Wind, vor allem weil die große Oppositionspartei Venstre, unter dem damaligen Staatsminister Lars Løkke Rasmussen noch (ebenfalls unter „Rücksicht“ auf die Dänische Volkspartei) sehr europafaul, momentan die europäische Einheit wieder als für Dänemark lohnenswertes Ziel proklamiert.

Die Pandemie-Vorsorge wäre auf europäischer Ebene viel besser aufgehoben, und es wäre gar nicht erst zu einer solchen Katastrophe gekommen, wenn man sich gemeinsam vorbereitet hätte, heißt es unter anderem aus der Partei.

Und mit ihrem jetzigen Vorschlag könnte es Macron und Merkel gelungen sein, den Wind zu verstärken und antieuropäische Automatismen, auch in Dänemark, umzupusten.

Denn auch wenn die Anfangskosten für ein neues europäisches Rettungspaket für Dänemark hoch wären, auch wenn die Regierung sich dazu überwinden müsste, Ja zu Europa zu sagen: Die Versprechungen sind zu verlockend. Der Neuaufbau Europas soll nämlich vor allem in den Bereichen grüne (Energie-) Wende, Digitalisierung und Gesundheit angegangen werden.

Hier würden Milliarden in die Bereiche fließen, die den dänischen Wirtschaftsmotor so richtig zum Brummen bringen könnten. Auch hier in Nordschleswig haben wir namhafte und kleine Unternehmen, die sich über europaweite Aufträge in diesen Bereichen freuen würden. Wenn die Regierung dazu Nein sagt, wird sie sich international – aber auch hierzulande – fragen lassen müssen, wem damit gedient ist.

 

 

 

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