Leitartikel

„Auf in den Überwachungsstaat“

Auf in den Überwachungsstaat

Auf in den Überwachungsstaat

Apenrade/Aabenraa
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Um den Menschen das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, geht die sozialdemokratische Regierung derzeit sehr weit. Zu weit, meint Cornelius von Tiedemann.

Der unglaubliche Weg Dänemarks hin zum Überwachungsstaat geht weiter. Die sozialdemokratische Regierung macht dabei möglich, wovon die parlamentarische Rechte nur träumen kann. Zum Beispiel die ersten Schritte zur Totalüberwachung des öffentlichen Raumes mithilfe von Kameras.

Der Minderheitsregierung unter Mette Frederiksen muss man zugestehen: Sie hat alles im Griff. Dafür hat Frederiksen in den vergangenen Jahren auch gesorgt, das haben wir an dieser Stelle mehrfach notiert. Wer nicht auf Frederiksen-Linie war, der wurde schon vor der Wahl ausgefroren. Posten- und Liebesentzug für alle Sozialdemokraten, die nicht im Chor singen wollen.

Nach der Wahl ging es weiter. Selbst wenn die Sozialdemokraten bei weitem nicht in der parlamentarischen Mehrheit sind – die Regierung und der Regierungsapparat müssen sozialdemokratisch sein. Das sagt Frederiksen selbstbewusst immer wieder auch öffentlich. Und kann man es ihr vorhalten? Es ist ihre Regierung, ihre Zeit als Regierungschefin – da ist es doch nur anerkennenswert, wenn jemand politisch so viel bewegen will, wie möglich – und sich dafür die Handlungsgrundlage schafft.

Das Ergebnis ist gleichsam beruhigend wie beängstigend, je nachdem, wie man veranlagt ist: Eine dänische Regierung, die bisher ganz ohne Skandale und Kabale auskommt. Keine ausufernde Debatte über gebrochene Wahlversprechen. Kaum Reibereien mit den Mehrheitsbeschaffern – einzig die Radikalen wollen sich nicht so ganz vor den Wagen spannen lassen, werden dafür aber dann auch entsprechend medial zurechtgewiesen.

Eine Regierung, die sich von rechts nicht angreifbar macht, eine stringente Einwanderungspolitik betreibt, rhetorisch am „Wir“ (die Dänen) und „die“ (alle anderen) festhält und die Sicherheit an erste Stelle stellt. In einem der wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt. In einem Land, in dem Vorfälle Schlagzeilen machen, die anderswo nicht einmal eine Randnotiz wert wären.

Frederiksen und ihre Freunde wissen: Wenn wir den Menschen das Gefühl geben, alles im Griff zu haben und sie vor jeglicher realer oder heraufbeschworener Gefahr schützen, dann vertrauen sie uns, dann sind sie auf unserer Seite.

Selbst nachdenkliche Politiker wie Justizminister Nick Hækkerup lassen sich im Dienste dieser Logik zu bedenkenswerten Aussagen wie folgender hinreißen: „Wenn wir die Sicherheit in der Gesellschaft zerstören, zerstören wir damit die Freiheit in der Gesellschaft.“

Kein logischer Trugschluss. Aber einen solchen Satz, solch starke Wörter benutzen, um den Einsatz von flächendeckender Videoüberwachung im öffentlichen Raum zu rechtfertigen? Von „Zerstörung“ zu sprechen, wenn man das Recht auf Versammlungsfreiheit verteidigt? Zumindest die 68 Mandatsträger jener Parteien im Folketing links und rechts der Mitte, die dem liberalen Spektrum zugeordnet werden, sollten bei solchen Aussagen, die an den Duktus autoritärer Regimes erinnern, an die Decke gehen.

Tun sie aber nicht, zumindest nur einige von ihnen. Die Übung, Gefahren heraufzubeschwören, um sie dann öffentlichkeitswirksam zu bekämpfen und so zum politischen Erlöser/Beschützer zu werden, gehört schließlich zum politischen Einmaleins. Wer die Übung besonders gut meistert, verdient sich die Anerkennung der politischen Klasse. Die Sozialdemokraten sind derzeit souveräner Klassenprimus.

Soll man ihnen dazu nun gratulieren?

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