Leitartikel

„Transportwende in Gefahr“

Transportwende in Gefahr

Transportwende in Gefahr

Apenrade/Aabenraa
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Kaum eine Branche ist von der Corona-Krise so hart betroffen wie die Flugindustrie. Doch weil auch der kollektive Verkehr am Boden leidet, sieht Cornelius von Tiedemann die grüne Transportwende bedroht. Den Optimismus, dass es nach Covid-19 ein „Weiter so“ geben wird, bewundert er.

Das hat es noch nie gegeben: Charter-Flugreisen sind im Sommer in Dänemark um 94 Prozent zurückgegangen. Die großen und die kleinen Flughäfen, darunter Billund und Sonderburg, verzeichnen Einbrüche, die sich bis 2020 niemand hat vorstellen können.

Manche mag die heftige Krise der Luftfahrtindustrie (mehr oder weniger) heimlich freuen. Zeichnet sie doch für 3,5 Prozent der menschgemachten Klimaerwärmung seit 1940 verantwortlich, wie eine internationale Studie kürzlich schloss. Weniger Luftfahrt bedeutet also auch weniger Kohlenstoffdioxid-Ausstoß, weniger Kondensstreifen und so weiter.

Aus klimapolitischer Sicht ist es also eine tolle Sache, dass die Menschen nicht mehr massenweise in den Urlaub und zu Meetings jetten. Oder?

Ja und nein. Ja, weil allgemein weniger gereist wird und weil Studien und Expertenberichte nahelegen, dass es auch nach einem Ende von Corona lange dauern wird, bis sich die Passagierzahlen wieder auf Vorkrisenniveau bewegen. Einige gehen auch davon aus, dass die Kombination aus „Flugscham“, Seuchenangst und neuentdeckter Heimatliebe sich zumindest für den Flugtourismus dauerhaft negativ auswirken wird. Hinzu kommen vielfach positive Erfahrungen mit Homeoffice und Videokonferenzen, die berufliche Reisen infrage stellen.

Nein, weil der Umstieg vom Flugzeug in die Bahn ausgeblieben ist. Auch die Bahnen haben massiv unter Passagierrückgängen zu leiden, wie der kollektive Verkehr insgesamt. Angesichts leerer Busse und Bahnen und dadurch ausgelöster hoher Subventionen fällt es Politikern schwer, für Investitionen in den öffentlichen Verkehr zu werben.

Der große Gewinner ist der Individualverkehr. Der Fahrradmarkt boomt. Und die Autoindustrie lacht sich – nach heftigen Einbrüchen im Frühjahr – auf Sicht ins Fäustchen. Denn wenn jeder Mitreisende ein Infektionsrisiko ausmacht, bleiben Menschen entweder zu Hause – oder sie steigen ins eigene Auto. Wenn die Beschäftigungszahlen sich erholen, werden sich das auch mehr wieder leisten können.

Den Klimavorkämpfern kann es recht sein – auf den ersten Blick. Denn solange Autos mit mehreren Personen besetzt sind, haben sie eine deutlich bessere CO2-Bilanz als Flugzeuge. Schon bei zwei Personen halbiert sich der Ausstoß gegenüber einer Flugreise auf langer Strecke ungefähr. Benziner und Dieselfahrzeuge sind hier (im Vergleich) fast schon Klimahelden. Wer es schafft, sechs Personen in seinem Auto unterzubringen, kann es in der Klimabilanz sogar mit der Bahn aufnehmen.

Doch: Auf solo gefahrenen kurzen und mittleren Strecken, die den Löwenanteil ausmachen, haben Autos, auch Elektroautos, eine erschreckende Bilanz – weit über dem, was der Kollektivverkehr am Boden leisten kann.

Die Transportwende, sie steht trotz des Einbruchs der Flugreisen also insgesamt auf der Kippe. Hinzu kommt, dass die öffentlichen Kassen angegriffen werden – wegen der Hilfsmittel für die Flugindustrie, aber auch, weil sich viele Bus- und Bahnlinien kaum noch rechnen. Gerade am Montag hat die Kommune Apenrade etwa das Aus einiger Busabfahrten bekannt gegeben. Viele Bus- und Bahnfahrer sind auf unabsehbare Zeit an das Auto verloren – auf kurzer wie auf langer Strecke.

Die kurzfristige Rettung für Flugunternehmen wie für Bus- und Bahnbetreiber, Subventionen, mehr Effizienz (=Streichungen) bei den Routen und höhere Ticketpreise kosten jeden einzelnen von uns Geld und Komfort – und somit guten Willen.

Die Frage, wie das Transport-Dilemma gelöst werden soll, wird Regierung und Folketing nicht nur bei den Klimaverhandlungen noch lange beschäftigen. Es geht ums Klima, es geht aber auch um viele Arbeitsplätze und es geht ganz aktuell und nicht nur mittel- oder langfristig um richtig viel Geld.

Der Optimismus von Billunds Flughafen-Chef, der am Montag dafür warb, Dänemark und Speziell Jütland nach der Corona-Krise vor allem bei asiatischen Urlaubern als „attraktives Naturland“ zu bewerben und der darin eine Wachstumschance für seinen Flughafen sieht, ist angesichts der derzeitigen Lage sicherlich beneidenswert.

 

 

 

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