Leitartikel

„Toleranz, Respekt, Anerkennung“

Toleranz, Respekt, Anerkennung

Toleranz, Respekt, Anerkennung

Apenrade/Aabenraa
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Nils Baum sendet einen Glückwunsch an Aura, den Organisator der Apenrader Pride-Woche. Denn trotz Anerkennung und Gleichstellung gibt es noch immer Bedarf für eine weitere Verankerung queeren Lebens im Bewusstsein der Öffentlichkeit, um den Respekt vor der Lebensform anderer Menschen weiter zu festigen.

In dem Film „Love, Simon“, dem ersten Hollywood Coming-Out Blockbuster, der 2018 ein Millionenpublikum erreichte, gibt es eine Szene, in der Kinder ihren Eltern mit viel Überwindung gestehen, dass sie heterosexuell sind. Ihre Eltern nehmen sie daraufhin schluchzend in die Arme und sagen ihnen, dass sie sie trotzdem lieben.

Die Szene steht sinnbildhaft für die Frage: Warum sind es eigentlich immer die Homosexuellen, die sich erklären müssen? Weshalb muss man überhaupt ein Coming-Out haben?

Apenrades Bürgermeister, Thomas Andresen, formulierte es im Interview mit dem „Nordschleswiger“ so: „Es kann ja aber auch problematisch sein, dass das überhaupt ein Thema ist, das besondere Aufmerksamkeit erfordert.“

Man möchte ihm zu gerne Recht geben. Aber dass es noch immer ein Thema ist, zeigt nicht zuletzt die Debatte der vergangenen Tage um die Beleuchtung der Münchner EM-Arena in Regenbogenfarben, die auf ein neues Gesetz der ungarischen Regierung zurückgeht, mit dem die Regierung Informationen über Homosexualität und Transsexualität einschränken will. Damit werden LGBT+-Personen offen von staatlicher Seite diskriminiert.

Und die Reaktionen zeigen, dass große Uneinigkeit in der Bewertung der UEFA-Ablehnung, das Stadion entsprechend zu beleuchten, vorherrscht. Doch noch wichtiger, ob sich jemand dafür oder dagegen ausspricht, ist die Tatsache, dass das Thema überhaupt so groß auf die Tagesordnung gekommen ist. Denn das stärkt die öffentliche Wahrnehmung queeren Lebens. Was wiederum die Chancen steigert, dass die Existenz von LGBT+-Menschen stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt.

Als die ersten Homosexuellen Anfang der 80er Jahre in Hamburg auf die Straße gingen, schmissen sie noch einen Polizeiwagen um. Von da an sollte es noch knapp 20 Jahre dauern, bis die Demonstrationen zu großen Pride-Paraden mit gesponserter Werbung mutierten, um sich schließlich in farbenfrohen Dragkostümen und Lederoutfits als Zuschauermagnet zu manifestieren.

Wenn am Sonnabend die Pride-Parade in Apenrade vom Stapel läuft, kann man den Veranstaltern nur wünschen, dass sie viel Aufmerksamkeit bekommen. Denn in den ländlichen Gegenden, zu denen nun einmal auch Nordschleswig zählt, gibt es keine sichtbaren Zeichen homosexuellen Lebens. In Kolding gab es bis vor einigen Jahren das Lobito, was für „Bøsser og lesbiske i Trekantområdet“ steht, aber die Tatsache, dass es inzwischen geschlossen ist, zeigt, wie schwer es ist, auf freiwilliger Basis Treffpunkte für die LGBT+-Szene jenseits der Großstädte zu schaffen und am Laufen zu halten.

Auch deswegen sind die Bedenken von Thomas Andresen nachvollziehbar, nämlich, ob aus der Apenrader Pride-Woche eine Tradition erwächst, oder ob es sich um ein singuläres Ereignis handelt.

Viele junge Menschen sehen heutzutage vielleicht nicht mehr die Notwendigkeit, in Dänemark für LGBT+-Rechte zu demonstrieren. Aber Ereignisse wie in Ungarn machen deutlich, das selbst in einem EU-Land eine Minderheit plötzlich zur Feindgruppe vonseiten der Regierung erklärt werden kann. Allein aus diesem Grunde sollten wir die Existenz queeren Lebens sichtbar machen und dafür eintreten, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihres Selbstverständnisses, Respekt verdienen.

Deswegen braucht kein Heterosexueller „Hurra“ rufen, denn nicht jeder möchte sich mit sexuellen Identitätsfragen beschäftigen oder es bejubeln, wenn zwei Männer Hand in Hand die Straße entlang gehen. Viel ist erreicht, wenn es bei uns einfach als eine Form der Liebe akzeptiert wird, und wenn wir mit thematischen Veranstaltungen wie der Apenrader Pride-Woche ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen setzen können, die in Ländern leben, in denen eine solche Selbstverständlichkeit noch nicht erreicht ist.

Doch auch hierzulande gibt es noch Luft nach oben, was sich zum Beispiel im Bewusstsein für einen angemessenen Sprachgebrauch zeigt. Zwar hat die Sensibilisierung für den Umgang mit Sprache gerade in den vergangenen Monaten zugenommen, doch Sprüche wie „Das ist voll schwul“ sind noch nicht aus dem Alltagswortschatz verschwunden.

Glückwunsch an Aura Apenrade als Organisatoren der Apenrader Pride-Woche. Möge sie so viel gesellschaftliche Aufmerksamkeit mit sich bringen, dass sich das Wissen über die Vielseitigkeit und der damit einhergehende Respekt vor der Lebensform anderer Menschen weiter verfestigt.

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