Leitartikel

„SSW auf Wolke fünf“

SSW auf Wolke fünf

SSW auf Wolke fünf

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Das Ergebnis der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein fällt ungewöhnlich klar aus. Entscheidend hat dazu Ministerpräsident Daniel Günther beigetragen. Ebenfalls bemerkenswert: die CDU könnte sogar allein mit dem SSW, der ein Rekord- und Traumergebnis erzielt hat, eine mehrheitsfähige Regierung bilden, schreibt Siegfried Matlok.

Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein brachte mehrere Überraschungen. Besonders beachtlich der Triumph von CDU-Ministerpräsident Daniel Günther – aber nicht weniger zu beachten ist die auch für das Ausland so erfreuliche Tatsache, dass ausgerechnet im Lande zwischen den Meeren das AfD-Schiff parlamentarisch untergegangen ist. 

Im Mittelpunkt steht aber das ungewöhnlich klare Ergebnis vor dem Hintergrund der früher stets bis zur letzten Stimme umkämpften Machtverhältnisse, die oft persönlich bitterste Feindschaften im politischen Klima herbeiführten, man denke nur mal an die Barschel-Affäre mit dem – bis heute nicht völlig aufgeklärten – Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten in einem Genfer Hotel.

Dass Günther laut Umfragen zurzeit als beliebtester Regierungschef in einem deutschen Bundesland mit sagenhaften Umfragewerten gilt, liegt auch daran, dass er das politische Klima harmonisch entgiftet hat. Es gab mal einen – auch bundespolitisch – bekannten CDU-Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg, der als der „kühle Klare aus dem Norden“ tituliert wurde: Günther könnte man als den „warmen Klaren aus dem Norden“ bezeichnen.

Vor fünf Jahren noch belächelt, ja sogar vom politischen Gegner verhöhnt, hat er als Chef der sogenannten Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen ein Experiment gewagt, das dem Land nach innen und aussen gut getan hat. Wenn man ihn in diesem Zusammenhang mit einem dänischen Politiker vergleichen sollte, dann wohl mit dem konservativen Staatsminister Poul Schlüter, dessen Geheimnis auch die große Fähigkeit war, den Koalitionspartnern Luft und Erfolge zu gönnen, statt sich nur selbst medial sonnen zu wollen.  

Seit Sonntag ist Günther, der schon früher auch als ein möglicher Nachfolger von Angela Merkel gehandelt wurde, ein noch einflussreicherer bundespolitischer Faktor in der CDU. Die Partei jubelt nach Schleswig-Holstein zwar zurecht, doch schon am Sonntag kann es in Nordrhein-Westfalen wieder ganz anders aussehen – auch für Parteichef Friedrich Merz. Der ehemalige Eckernförder Handballer Günther hat nun einen Siebenmeter in der Hand, einen Matchball bei der Bildung seiner kommenden Regierung. Auch bundespolitische Motive dürften darüber entscheiden, ob er die Jamaika-Koalition beibehält oder ein anderes Farb-Signal aus Kiel sendet.

Das Unglaubliche am Ergebnis ist auch die Tatsache, dass die CDU sogar allein mit dem SSW eine mehrheitsfähige Regierung bilden kann! Das wird sie sicherlich nicht tun; nicht weil die Union heute keine Sympathien für die Partei der dänischen Minderheit und für deren Fraktionschef Lars Harms hat.  Unter Günther hat sich das historisch oft sehr belastete Verhältnis zwischen CDU und SSW durch Annäherung beider Seiten – endlich – entspannt. Schon die wahlarithmetische Möglichkeit einer Regierungsbildung (die der SSW wohl nicht ausschließen würde) ist an sich historisch.

Und historisch ist das Ergebnis des SSW allemal. Der SSW hat seine Mandatszahl von drei auf vier erhöht, doch die Zahlen sprechen ihre deutliche Sprache: Mit 79.300 Stimmen hat der SSW das beste Ergebnis seiner Geschichte seit der Gründung 1948 erzielt. Zur historischen Wahrheit gehört allerdings, dass die Partei der dänischen Minderheit im April 1947 bei der ersten Landtagswahl auf 99.500 Stimmen kam und sechs Mandate eroberte – damals jedoch angetreten als SSF/SSV. Wenn man bedenkt, dass die knapp 100.000 bzw. 9,3 Prozent in Zeiten des „Kalten Krieges“ im Grenzland mit dänisch-nationalen Forderungen nach einer Grenzrevision zustande kamen, dann kann man dem SSW nur gratulieren, dass er jetzt in glücklichen Friedenszeiten zwischen Deutschen und Dänen dieses Rekord-Ergebnis auf die politische Waage bringt.

Damit ist dem SSW ein Durchbruch gelungen, nachdem er ja bereits im September ein Bundestagsmandat durch Stefan Seidler gewinnen konnte. Die 55.300 Stimmen bei der Bundestagswahl haben sicherlich Rückenwind aus Berlin beschert. Entscheidend ist aber festzuhalten, dass sich der SSW über Jahrzehnte – trotz Rückschläge – von der reinen kampfbetonten Minderheitenpartei dann als Minderheiten- und Regionalpartei nun auch zu einer voll anerkannten Landespartei für ganz Schleswig-Holstein entwickelt hat. Über Karl Otto Meyer, Anke Spoorendonk und Flemming Meyer. Der sensationelle Erfolg des SSW liegt darin, dass er sich über sein südschleswigsches Kernland deutsche Wählerpotentiale erschlossen hat, die den SSW nicht mehr, nicht nur als humorvollen dänisch-nordischen „Hygge“-Onkel betrachten, sondern als seriös-alternatives, ja auch regierungsfähiges Gesamtpaket annehmen.

Ein Beispiel: In der Landeshauptstadt Kiel hat der SSW am Sonntag 6.400 Zweitstimmen erzielt – mehr als die FDP! Mit taktisch geschicktem Programm hat er bei der Wählerwanderung nach Analysen sogar rund 16.000 Stimmen von der SPD geholt, weil der SSW im Gegensatz zu manchen deutschen Parteien die Inflationsängste der kleinen Leute ernst genommen hat, wie es Fraktionschef Lars Harms unterstrich, der auch einen großen Anteil am Erfolg hat, weil er bei Umfragen landesweit sogar an die Werte von Spitzenkandidaten anderer großer Parteien herankam.

Lars Harms brachte bei der Wahlparty im „Flensborghus“ vor verständlicher Freude sogar einen friesisch-unterkühlten Jubeltanz auf die Platte. Vermutlich wird er nun wieder Sitzfleisch brauchen und auf den Oppositionsbänken Platz nehmen, aber der SSW hat sich jetzt ein starkes, zukunftsfähiges Fundament erarbeitet. Besonders signifikant, dass er mit 5,7 Prozent erstmalig die Fünf-Prozent-Sperrklausel überwunden hat, die nach den Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärungen von 1955 der Partei der dänischen Minderheit die volle Sperrklausel-Freiheit zusicherte.

Die historische Schallmauer endlich durchbrochen, schon wird gefragt, ob der SSW vielleicht sogar künftig auf diese Minderheiten-Klausel verzichten wird? Der SSW schwebt nun auf Wolke sieben, nein genauer über Wolke fünf und kann neue, ja noch höhere Ziele anstreben. Zum Beispiel eine Kandidatur bei der Wahl zum Europa-Parlament 2024, wo zurzeit sogar realistisch transnationale Listen im Gespräch sind.

Mehr lesen

Leserbrief

Meinung
Kristian Pihl Lorentzen
„Hærvejsmotorvejen som grøn energi- og transportkorridor“

Leserbrief

Meinung
Asger Christensen
„På tide med et EU-forbud mod afbrænding af tøj“