Leitartikel

„Schauspiel Britta “

Schauspiel Britta

Schauspiel Britta

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Siegfried Matlok widmet seinen Leitartikel dem Gerichtsfall Britta Nielsen. Die wegen des Vorwurfs des Millionenbetrugs angeklagte frühere Mitarbeiterin des Sozialministeriums ist auf der Halbinsel Loit in Nordschleswig aufgewachsen.

Im Gerichtssaal 60 des Kopenhagener Stadtgerichts, Nytorv 25-27, sitzt in dieser Zeit – wenn nicht krankheitsbedingt abgesagt – ein Häufchen Elend auf der Anklagebank: Britta Nielsen, die es – wider Willen – dazu gebracht, dass ganz Dänemark mit ihr per du ist und nur über Britta spricht. Die inzwischen 65-Jährige, auf der Halbinsel Loit  aufgewachsen, wird wegen schweren Betruges vor Gericht von einem 38-Jährigen verteidigt, der selbst „nordschleswigsche Wurzeln“ hat: Nima Nabipour, der als Dreijähriger mit seinen iranischen Eltern nach Dänemark flüchtete, nach Sonderburg kam und  Abiturient des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig wurde.

Er hat – nicht vergleichbar – eine fast so ungewöhnliche Karriere wie Britta hinter sich: An der Schauspielakademie Kopenhagen ließ er sich als Schauspieler ausbilden, hat sogar mehrere Film- und TV-Rollen gespielt –  u. a. in der populären Krimi-Serie Anna Pihl. An der Deutschen Schule Sonderburg entdeckte einst Helmuth Petersen sein Talent, später spielte Nabipour unter der Regie von Jürgen Schultze im DGN in Schillers „Die Räuber“ den Bösewicht Franz.  

Schauspielerisches Talent sei vorteilhaft für seine Aufgaben als Jurist, so Nabipour, und der Prozess gegen Britta läuft auch ohne Drehbuch wie eine Mischung aus Jura und Schauspiel ab. Die zuletzt politisch für die Büroangestellte Britta Nielsen zuständige konservative Sozialministerin Mai Mercado meinte, als der Schwindel mit den 117 Mio. Kr. aufflog, dass der Fall „alle Elemente eines Hollywood-Films enthält“. 

Die Gauner-Komödie dreht sich aber nicht nur um die unglaubliche kriminelle Energie einer von der öffentlichen Hand mit hohen Millionensummen im Sozialministerium beauftragten Frau; ein Blick in ihre eigene soziale Vergangenheit scheint angebracht. Von schwierigsten Familienverhältnissen ist die Rede, die psychisch kranke Mutter drohte oft mit Selbstmord,  die Familie steckte bis über dem Kopf in Schulden, und Britta erzählte vor Gericht mit tränenerstickter Stimme, wie sie und ihre Schwestern zum Schweigen verurteilt wurden, wenn der kommunale Pfändungsbeamte bei den Eltern auftauchte.

Die Kindheit und Jugendzeit liefert vielleicht eine Erklärung, jedoch keine Entschuldigung. Auch nicht Mitleid, denn Britta hat eben das wichtigste Kapital missbraucht, das einer Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst geschenkt wird – Vertrauen. Wir Bürger vertrauen nicht (anonymen) Mitarbeitern, sondern einem System, dem Staat, der, was die Ärmsten im Lande anbetrifft, jene Hilfen zu liefern hat, die wir als reiche Gesellschaft als unverzichtbar betrachten.  

Neben Britta Nielsen gehört auch das System mit seinen Verantwortlichen auf die Anklagebank. Dass schon kurz nach ihrer Festnahme in Südafrika intern entschieden wurde, dass niemand außer Britta Nielsen für diesen Sündenfall verantwortlich gemacht werden kann, weil man sich ja vor Betrügern, Kriminellen nie hundertprozentig schützen kann, mag zwar juristisch stimmen, moralisch überzeugt das Argument aber nicht. Wer die Gerichtsberichte verfolgt, der kann nur mit dem Kopf schütteln, wie leicht das System Britta Nielsen den Zugang zu 117 Millionen gemacht hat. Obwohl es Revisionsberichte gab, die schon vor Jahren systemische Mängel beanstandeten, wurde nichts bzw. kaum etwas unternommen, um Zuschusslöcher zu stopfen.

Sie sei nie dazu gezwungen gewesen, im Ministerium etwa nach fehlenden Mitteln zu suchen, um ihren „privaten“  Haushalt mit Luxus und teuren Pferden zu sichern, sie habe quasi nur ins Füllhorn greifen müssen. Und wenn sie dazu fiktiv eigene Vereine/Organisationen  gründete, dann sei selbst die Angabe ihrer privaten Kontonummer als Empfänger niemandem aufgefallen.  

Das ist die offizielle Version von Britta, und ihre Kolleginnen „Susanne, Bodil oder Helle“ haben bestätigt, dass Geld in Hülle und Fülle vorhanden war, sodass man im Ministerium offen damit scherzte,  sich mit diesen freien Summen jederzeit eine teure Urlaubsreise auf den Bahamas leisten zu können. Im Jahre 2019, wo der Bürger oft das Gefühl hat, dass selbst kleinste Banküberweisungen überwacht werden – keine  Millionen oder Milliarden! –, muss traurig zur Kenntnis genommen werden:  Vertrauen in den Staat ist zwar gut, die Kontrolle aber hat wie auch im Fall der Steuerbehörde Skat leider zu oft versagt und damit unser demokratisches Grundvertrauen erschüttert.

Britta Nielsen – um kein Missverständnis aufkommen zu lassen – verdient eine harte Strafe, aber dass verantwortliche Beamte wie die Departementchefs und Minister seit Jahren solche Zustände wie bei Hempels unterm Sofa zugelassen haben und nun gar nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist ein Armutszeugnis, das nicht nur die Armen im Lande, sondern uns alle betrifft – und empört!

Berichtigung: Britta Nielsen ist nicht auf der Halbinsel Loit aufgewachsen, sondern in Odense. Wir bedauern die Fehlinformation. Chefredakteur Gwyn Nissen, 20. August 2020.

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