Leitartikel

„Saufkultur“

Saufkultur

Saufkultur

Apenrade/Aabenraa
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In Dänemark gehört der Alkohol, wie in Deutschland, zur Alltagskultur. Ein teures Vergnügen, rechnet Cornelius von Tiedemann vor. Er wünscht sich, dass die Politik sich herantraut an das rote Tuch Alkoholkonsum.

In Dänemark sind wir gerne Weltmeister. Doch im Alkoholkonsum schaffen wir es Jahr für Jahr nicht an die Spitze der Tabelle. Ein Grund sind die Osteuropäer und die Finnen, die einfach unschlagbar sind – und ein anderer ist der Grenzhandel. Er verdirbt die Statistik. Um bis zu 20 Prozent würde der dänische Pro-Kopf-Verbrauch in den internationalen Vergleichen zulegen, wenn die Zahlen aus dem Grenzhandel berücksichtigt werden würden, schreibt die Statistikbehörde Danmarks Statistik. Immerhin: Der Nachwuchs steht bereit, die dänische Jugend gehört zu den trinkfreudigsten in Europa.

Ironie beiseite: Bereits ohne die Grenzhandels-Liter zeigt sich ein erschreckendes Bild. Jeder erwachsene Mensch in Dänemark trinkt demnach zwölf sogenannte „Standardgläser“ (dän. genstand) Alkohol in der Woche. Mit Grenzhandel wären es ungefähr vierzehn. Und das dänische Standardglas ist mit 12 Gramm reinen Alkohols schon großzügig bemessen – in Großbritannien sind es nur acht Gramm.

Natürlich trinkt aber nicht jeder in diesem Land jeden Tag zwei Flaschen Bier oder zwei Gläser Wein. Einige trinken (fast) gar nicht, andere nur am Wochenende, und dann richtig viel auf einmal.

Jeder neunte Einwohner Dänemarks, ob Greis oder Jugendlicher, Frau oder Mann, konsumiert laut „Blå Kors“ in gesundheitsschädlichem Umfang Alkohol. Gucken wir uns mal im Klassenzimmer, im Kollegenkreis, bei der Vereinsversammlung um. Vor allem bei den Männern. Jeder fünfte von ihnen hat laut Gesundheitsbehörde und Süddänischer Universität ein Alkoholproblem.

Wird Alkohol deshalb verboten? Nein. Im Gegensatz zu E-Zigaretten, für die der Nachweis der Gesundheitsschädlichkeit noch immer aussteht, gilt der Alkohol als Teil der Kultur, wie eigentlich in der gesamten europäisch geprägten Welt.

Eine Kultur, die hierzulande so ernst genommen wird, dass die Steuerzahler offenbar bereit sind, die Kosten für die Folgen zu tragen. Zumindest muss festgestellt werden, dass die Politik sich, abgesehen von Empfehlungen, nicht wirklich engagiert, etwas zu ändern.

2.900 Menschen sterben in Dänemark jedes Jahr direkt durch Alkoholmissbrauch, das sind 5,6 Prozent aller Todesfälle. Bei Männern im Alter von 45 bis 56 Jahren sind es 30 Prozent. Fast 40.000 Mal werden Menschen in Dänemark jedes Jahr eingewiesen, weil sie Alkoholprobleme haben. 9.300 dieser Einweisungen geschehen in psychiatrische Abteilungen. Das sind 25 am Tag!

Die Alkoholtrinker verursachen jedes Jahr mehr als 400.000 zusätzliche Krankheitstage. Das entspricht umgerechnet rund 5.000 Vollzeitstellen, die wegen des Alkoholkonsums dauerhaft ausfallen. Jeden Monat gehen in Dänemark 36 Menschen in den frühzeitigen Ruhestand, weil sie zu viel Alkohol trinken oder getrunken haben.

Die Behörden schätzen auf Grundlage einer KORA-Untersuchung, dass der gesellschaftliche Alkoholmissbrauch die Steuerzahler pro Tag mindestens 35,6 Millionen Kronen alleine an direkten Gesundheitskosten kostet. Jeder Einwohner zahlt also sechs Kronen am Tag alleine dafür, dass 50.000 Menschen jährlich medizinisch versorgt werden, die zu viel Alkohol getrunken haben, und dies ihrem Arzt gegenüber auch so eingestehen. Die Kosten, die Reha-Maßnahmen verursachen, sind da ebenso wenig eingerechnet wie die Kosten, die durch die Folgen des Rausches anderweitig entstehen können – zum Beispiel durch Sachbeschädigung, Kriminalität, seelische Verletzungen, Arbeitsausfall und so weiter. Und die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen.

Ich könnte weitere Statistiken bemühen, zu Krebs, zu häuslicher Gewalt, zu Todesopfern und Schwerverletzten durch Alkohol am Steuer und so weiter. Doch daran ändern, dass Alkohol in Dänemark, wie in Deutschland, einfach dazugehört, wird das nichts. Provokativ gesagt: Wir leben schlicht in einer Saufkultur. Prost!

 

 

 

 


 

 

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