Leitartikel

„Sagen sie du“

„Sagen sie du“

„Sagen sie du“

Apenrade/Aabenraa
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Das Sie hat, obwohl es nie ganz ausstarb, in Dänemark kaum eine Chance auf Rückkehr. Dazu ist der Kreis derer zu klein, die sich wieder mehr Distanz wünschen, meint Cornelius von Tiedemann.

Neulich bekam ich Post von einem großen Zeitungshaus aus Kopenhagen. Der Chefredakteur schrieb mich zwar auf Dänisch an – wie er wohl alle (potenziellen) Leser auf Dänisch anspricht – siezte mich aber.  Das kam mir doch etwas merkwürdig vor. Na klar, es handelt sich um ein bürgerliches, liberalkonservatives Haus mit langer Tradition. Aber zugleich doch auch um ein modernes Medienunternehmen. Weshalb also diese Manieriertheit?

Dass es das Sie („de“) in Dänemark kaum noch gibt, dass es auffällt, wenn man gesiezt wird, ist eine noch recht junge Entwicklung. Im Gegensatz zu mir werden sich die älteren Leser noch gut daran erinnern, dass es noch bis weit in die 1970er Jahre ganz normal war, zumindest ältere oder in irgendeiner Weise angesehene Mitbürger zu siezen.
Die jungen Leute, die Studenten in den 1960ern hielten das Sie für überholt und altertümlich. In ganz Skandinavien breitete sich das in der Arbeiterschicht (untereinander) und vor allem auch in den ländlichen Räumen ohnehin verbreitete Du aus, teils freiwillig, teils durch Anordnung etwa des Arbeitgebers, bis es schließlich auch die konservativen Kreise erfasste und ganz merkwürdig klang, wenn jemand einen siezte.

In Deutschland, das zwar die Wiege der Sozialdemokratie ist, aber bis heute ein bürgerlich geprägtes Land blieb, gab es das in der breiten Bevölkerung so nicht. In der DDR war es sogar so, dass den Querdenkern das Geduze der Parteioberen auf die Nerven ging. Während die Alternativen im Westen sich aus Protest gegen das Establishement duzten, wurde sich in der Opposition im Osten trotzig gesiezt.

In meiner Geburtsstadt Hamburg gibt es eine weitere Variante, das sogenannte Hamburger Du, bei dem der Redner sein Gegenüber beim Vornamen nennt, aber siezt. Letzter großer Exponent dieser Anrede war ausgerechnet der ehemalige Trainer von Werder Bremen, Otto Rehagel, der seine Spieler grundsätzlich siezte – aber beim Vornamen rief (und nebenbei die Ottokratie postulierte: „Hier kann jeder sagen, was ich will“).

Im Englischen ist das Sie schon lange völlig verschwunden. Im Dänischen aber feiert es unter den „young conservatives“ gerade ein Comeback. Wie auch in Schweden, wo einige Cafébesitzer ihr Personal mittlerweise anweisen, die Gäste zu siezen, damit diese sich bedeutend und als das Besondere wahrgenommen fühlen, welches sie so gerne sein wollen – aber leider auf diese Art nie werden können. Denn in ihrem Streben nach Einzigartigkeit sind sie so konform, dass es manchmal schon zum Schreien komisch ist.

Im Ernst: Das Sie hat, obwohl es nie ganz ausstarb, in Dänemark kaum eine Chance auf Rückkehr. Dazu ist der Kreis derer zu klein, die sich wieder mehr Distanz wünschen. Auch wenn diese durchaus ihre (sprachlichen) Reize haben kann, wer erinnert sich nicht an Joschka Fischers „Mit Verlaub“-Zitat.

Konservative Verlage können sich mit dem „Sie“ als exklusive Publikation für exklusive Leser darstellen. Mehrheitsfähig wird das Sie aber nicht – und vielleicht wünschen sich das die Konservativen Siezer ja auch gar nicht wirklich. Dann würde das ja jeder sagen...

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