Leitartikel

„Reines Gewissen beim Leckerbissen“

Reines Gewissen beim Leckerbissen

Reines Gewissen beim Leckerbissen

Apenrade/Aabenraa
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Das neue „Tierwohlfahrtsgesetz“ wird in Dänemark als Meilenstein gefeiert. In letzter Konsequenz ist es aber vielmehr ein „Menschengewissenschutzgesetz“, meint Cornelius von Tiedemann.

Nun wird ja allenthalben davor gewarnt, Politik zu sehr auf Gefühlen aufzubauen – und die Vernunft dabei zu vernachlässigen. Zum Beispiel, wenn Politiker die sogenannten „Sorgen und Ängste“ (die oftmals in Wahrheit nichts weiter sind als Vorurteile und Missgunst) aufgreifen und politische Beschlüsse fassen, die diese falsch deklarierten Gefühle im wahrsten Sinne des Wortes legitimieren – zu Gesetz machen.

Doch wenn es darum geht, anzuerkennen, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere Gefühle haben, dann ist das keine Gefühlspolitik – sondern ein aus der Sicht vieler längst überfälliger, ganz und gar vernünftiger Schritt im Tier- und Fleischexportland Dänemark.

Zum Leidwesen einiger Landwirte, die vor weniger Produktivität und mehr Bürokratie warnen. Das große Geschrei bleibt derweil aber aus. Schließlich ist das neue Gesetz im Kern, so neuartig es auch klingen mag, alles andere als eine Revolution. Es sind lediglich Rahmen festgelegt worden, und ein Bioethiker hat diese Grundzüge vergangenes Jahr in „Weekendavisen“ sogar ziemlich direkt als großen Rückschritt bezeichnet.

Für die Politik geht es darum, dem Postulat, eine fortschrittliche und weltweit vorbildliche Gesellschaft zu sein, nach außen auch in ethisch-moralischen Fragen nachzukommen. Schließlich spiegelt der Umgang mit Tieren auch immer wider, wie wir selbst über eine Gesellschaft denken.

Auch unter der großen Mehrheit, die weiterhin auf Fleisch und andere „Tierprodukte“ nicht verzichten will, wünschen sich die meisten, das zeigen laut „videnskab.dk“ Untersuchungen, dass es den Tieren, die für ihr Essen das Leben lassen mussten, den Umständen entsprechend gut ging, so lange sie leben durften.

Und genau darum geht es im neuen Gesetz – und nicht um mehr. Dänemark bekommt jetzt auf dem Papier statt eines „Tierschutz“-Gesetzes ein „Tierwohlfahrts“-Gesetz. Es soll die Tiere nicht nur vor Misshandlung und Vernachlässigung durch Menschen schützen – es soll sicherstellen, dass sie gut behandelt werden.

Auch das neue Gesetz ändert aber nichts daran, dass die grundlegende Voraussetzung ist, dass wir es als gegeben hinnehmen, dass wir als Menschen über das Wohl und Wehe, über Leben und Tod anderer Geschöpfe bestimmen und sie systematisch und ausschließlich zur Befriedigung unserer Bedürfnisse nutzen.

Es geht also nicht darum, sicherzustellen, dass es den Tieren so gut wie möglich gehen soll (was in letzter Konsequenz die Abschaffung der Massentierhaltung zur Folge haben müsste), sondern darum, dass es ihnen in ihrer von uns zugedachten Rolle als Haus- und Produktionstiere so gut wie möglich gehen soll.

Es geht darum, anzuerkennen, dass Tiere ein Recht auf ein gesundes Leben haben, dass Tiere das Recht darauf haben, in für sie natürlichen Stellungen zu verweilen, und es geht darum, anzuerkennen, dass Tiere Schmerzen, Angst und Stress fühlen und leben, und dass sie ein Recht auf angenehme, positive Erlebnisse haben.

Das klingt gut. Und das ist es auch. Genauso, wie zugleich sicher ist, dass das neue Gesetz zunächst nicht allzu viele Auswirkungen auf den Produktionsalltag haben wird. Denn auch mit dem neuen Gesetz ist die Prämisse in Dänemark wie gesagt noch immer, dass Tierhaltung ein Profitgeschäft sein muss.

Es wird also weiterhin einen Kampf um jeden Zentimeter geben, der einem Tier im Stall zugesprochen oder aberkannt werden soll. Es geht nun lediglich nicht mehr darum, ob ein Tier gequält wird, sondern ob es sich wohlfühlt – und, und das ist der Kern, ob der Mensch sich damit wohlfühlen kann, wie sich das Tier fühlt.

Die radikale Frage, unter welchen Umständen  sich das Tier denn am wohlsten fühlen würde, wird durch die neue Gesetzgebung aber ganz entschieden nicht gestellt. Aus Sicht der Bioethik ist das inkonsequent. Aus Sicht der Landwirtschaft natürlich ein Segen.

Es geht in dem neuen Gesetz demnach weiterhin nicht konsequent um Tierwohl – sondern darum, das Gewissen von uns Menschen einigermaßen zu beruhigen. Diese Doppelmoral wird besonders im Detail deutlich. Wenn zum Beispiel die Produktion von Katzen- und Hundefellen verboten, die von Rinder- oder Nerzfellen aber erlaubt ist.

In Wahrheit handelt es sich also weniger um ein „Tierwohlfahrtsgesetz“ als um ein „Menschengewissenschutzgesetz“.

 

 

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