Leitartikel

„Realismus und Realität“

Realismus und Realität

Realismus und Realität

Apenrade/Aabenraa
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EIne Statistik beantwortet immer nur die Frage, die gestellt wird, weiß der stellvertretende Chefredakteur des Nordschleswigers, Cornelius von Tiedemann, und macht dies am Beispiel der Integration deutlich.

Wer die Gefahren von Integration und kultureller Mannigfaltigkeit betont und  Teufel an die Wand malt, der findet heutzutage vielerorts als „Realist“ Gehör – und die Anerkennung vieler Wähler. Wer hingegen die Vorteile einer offenen und vielfältigen Gesellschaft betont, der wird leider nicht selten als Fantast belächelt.
 
Die erstgenannten „Realisten“ nutzen  gerne Statistiken, um dem Schrecken der Vielfalt einen faktischen Anstrich zu geben. Statistiken werden schließlich angefertigt, um Tatsachen darzustellen.

Doch selbst wenn Statistiken auf faktischen Daten beruhen, können sie, beabsichtigt oder nicht, dazu führen, dass Probleme vereinfacht,  einseitig und/oder irreführend dargestellt werden. Denn eine Statistik beantwortet immer nur die Frage, die gestellt wird.

 Man könnte zum Beispiel argumentieren, dass es doch toll ist, dass es in den Niederlanden und in Dänemark jeweils einen sehr  hohen Anteil erwerbstätiger Mütter gibt. Wenn man dabei aber nicht zugleich zeigt, dass in den Niederlanden davon zwei Drittel nur in Teilzeit arbeiten, stimmt die Statistik zwar immer noch – doch der möglichen Debatte wird eine wesentliche Tatsache vorenthalten.

Und so ist es auch bei der ewigen und fast schon elendigen Debatte um die Integration. Hier untersucht die dänische Statistikbehörde Danmarks Statistik, die politisch dem Innenminister unterstellt ist, zum Beispiel, wie sich die Kinder von Einwanderern in der Schule im Vergleich zu Kindern mit ethnisch dänischer Herkunft machen. Dass es dabei Unterschiede gibt, war immer wieder Anlass für die Vielfalts-Gegner, die Kinder ganzer Bevölkerungsgruppen  als problematisch zu bezeichnen und ihre Integration als Ding der Unmöglichkeit zu proklamieren.

Aus den Statistiken geht aber nicht hervor, unter welchen Bedingungen die Kinder und Jugendlichen lernen müssen. Die Schülerinnen und Schüler werden nämlich nach Ethnie sortiert – aber nicht nach sozialer Herkunft. Eine solche Statistik liegt bei Danmarks Statistik nicht vor – weil sie von der Politik nicht bestellt wurde.

Untersuchungen anderer Institute zeigen derweil,  dass Kinder mit Einwandererhintergrund zu großen Teilen bessere Leistungen in der Schule erzielen als diejenigen ihrer gleichaltrigen ethnisch dänischen Mitschüler, die aus finanziell ähnlich gestellten Familien kommen.

Diese Geschichte wird leider kaum erzählt.  Immerhin, „Kristeligt Dagblad“ berichtete kürzlich relativ prominent, dass es unter den Kindern von Einwanderern und deren Nachkommen mehr junge Menschen gibt, die soziales Erbe abschütteln und Ausbildungen absolvieren, als unter ethnisch dänischen jungen Leuten. Dies deute auf „einen großen Willen zur Integration“ hin, so einer der Analytiker hinter der Untersuchung.  Es wäre schön, wenn die „Realisten“ in der Integrationsdebatte auch solche Tatsachen anerkennen würden. Vielfach sind sie ihnen leider jedoch gar nicht bekannt.

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