Leitartikel

„Nationale Identität: Hemmnis, Turbo oder überflüssig im Wahlkampf?“

Nationale Identität: Hemmnis, Turbo oder überflüssig im Wahlkampf?

Nationale Identität: Hemmnis, Turbo oder überflüssig

Apenrade/Aabenraa
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„Nordschleswiger“-Journalist Helge Möller ist gleich über einen ersten Satz in einem Medienbericht gestolpert und fragt sich, ob die Betonung des Nationalen zielführend ist.

„Ein deutscher Bürgermeister in einer dänischen Kommune.“ So lautet der erste Satz in einem Beitrag des Senders „Danmarks Radio“ über Jørgen Popp Petersen aus der deutschen Minderheit, der für die Partei der Minderheit, die Schleswigsche Partei, in seiner Kommune Tondern (Tønder) kandidiert. Dieser erste Satz klingt fast wie eine Drohung.

In einem journalistischen Bericht muss die Sache auf den Punkt gebracht werden, doch schwingt in diesem Satz auch etwas mit, und das ist nicht positiv. Das Ansinnen der deutschen Minderheit, Ortsschilder in Nordschleswig zweisprachig zu gestalten – was südlich der Grenze seit Jahren Realität ist –, stieß und stößt in der dänischen Mehrheitsbevölkerung Nordschleswigs auf Ablehnung. Zu viel „Deutsches“ scheint nicht erwünscht, die deutsch-dänische Geschichte hat ihre Spuren hinterlassen.

Braucht es im Wahlkampf eine nationale Zuspitzung? Jørgen Popp Petersen ist Nordschleswiger und Sønderjyde und diejenigen, die ihn wählen können, sind es auch, schließlich stehen Kommunalwahlen an. Die Bürgerinnen und Bürger der Kommune Tondern werden wissen, wer da kandidiert, wofür die Person steht und ob man sich damit identifizieren kann, ob man ihr die Aufgabe zutraut. Und so ist es in Tondern bekannt, dass Jørgen Popp Petersen ein Mann aus der Minderheit ist.  Die nationale Komponente wird daher vermutlich auf kommunaler Ebene keine entscheidende Rolle spielen – und das wäre zu hoffen.

In Kopenhagen, Odense und Aarhus sieht die Sache vermutlich anders aus, dort wird die Zeile „Ein deutscher Bürgermeister in einer dänischen Kommune“  eher für Aufsehen sorgen. Dies war südlich der Grenze der Fall, als der Däne Claus Ruhe Madsen im September 2019 Bürgermeister der Hansestadt Rostock wurde. Seine Kandidatur und seine Wahl zogen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, die auch in der Corona-Zeit anhielt.

Augenscheinlich trauten es die Rostocker Madsen zu, wenn auch mit knapper Mehrheit, dass er als „Däne“ die Geschicke der Stadt gut lenken kann. Wobei er laut Biografie aber auch schon seit fast 20 Jahren – die Hälfte seines Lebens – in Deutschland wohnt. Ob das „Dänesein“ ein Pluspunkt war, oder ob seine Art und sein Programm letztlich seine Wählerinnen und Wähler überzeugten – wer weiß.

Könnte eine nationale Zuspitzung der SP nützen? National könnte es, siehe Rostock, zumindest zu mehr Medieninteresse führen – auch in Deutschland. Nationale Identitäten in den Vordergrund zu stellen ist mit Blick auf die Geschichte des Landesteils jedoch nicht von Vorteil, und wahrscheinlich nervt die Identitätsfrage im Alltag eines Bürgermeisters irgendwann auch, denn letztlich geht es um Sachfragen. Jørgen Popp Petersen auf sein Deutschsein zu beschränken, wird ihm nicht gerecht.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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