Leitartikel

„Mücken und Elefanten“

„Mücken und Elefanten“

„Mücken und Elefanten“

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Die populistische Trickkiste ist im öffentlichen Diskurs weit geöffnet. Trotz sachlicher Kritik folgen oft direkte, persönliche Angriffe. Wenn abweichende Argumentationen als Spinnereien herabgewürdigt werden, und wenn dies zum Mainstream in der Debatte wird, dann ist keine konstruktive Diskussion mehr möglich, meint Cornelius von Tiedemann.

„Du wirkst wie jemand, der einen längeren Aufenthalt auf einer unserer vielen schönen Inseln gebrauchen könnte, um die Stimmung aufzubessern.“ Das schrieb der Folketingsabgeordnete Mads Fuglede, seines Zeichens Mitglied der in Eigenbezeichnung liberalen Partei Venstre, vor einigen Tagen im Kurzmitteilungsnetzwerk Twitter an die Vorsitzende der Europabewegung, Stine Bosse. 

Diese hatte zuvor Justizminister Pape für einen „Tweet“ kritisiert, in dem dieser sich und der Regierung und besonders DF unter anderem für den „riesigen rechtspolitischen Fortschritt“ auf die Schulter klopfte, dass sie „geduldete Ausländer auf einer kleinen Insel versammeln, wo die Polizei rund um die Uhr zugegen ist“.

Sollte Mads Fuglede diesen Kommentar wirklich witzig finden, zeugt das von grober Respektlosigkeit einerseits Stine Bosse – und andererseits der Gesellschaft, der er seinen Job verdankt, gegenüber. Politische Widersacher (seit wann ist Venstre eigentlich Widersacher derer, die sich für Europa einsetzen?) werden lächerlich gemacht. Dahinter steckt mehr als bissiger „dänischer Humor“. Es sind rhetorische Methoden, die   Schopenhauer schon 1830 in seiner Eristrischen Dialektik beschrieb –  und derer sich Autoritäre und Populisten heute ganz bewusst bedienen. 

Auch die Dänische Volkspartei benutzt sie, die AfD in Deutschland nutzt sie,  in ganz Europa feiern populistische Bewegungen Erfolge, weil sie ganz bewusst und geschult in die rhetorische Trickkiste greifen und sich nicht an die Regeln dessen halten, was die Öffentlichkeit bisher als allgemeingültig betrachtet hat.

In dem Beispiel geht Fuglede trotz sachlicher Kritik direkt zum persönlichen Angriff (Argumentum ad personam) über – verdeckt als Humor. Auch der Autor dieser Zeilen durfte einen solchen Angriff erleben, als er an dieser Stelle Aussagen eines gewissen Morten Messerschmidt infrage stellte, das Vaterland gehe vor Demokratie.  Es ist äußerst besorgniserregend, wenn diese Gangart sich im Folketing und in der öffentlichen Debatte durchsetzen sollte. Vieles deutet leider darauf hin, dass sie es tut. 

Es würde den Abschied von der Prämisse bedeuten, dass wir alle gleich viel Wert sind und dass Argumentationen anderer, wenngleich man selbst sie ablehnt, respektiert werden. Es wäre der Abschied davon, dass Fakten und Sachlichkeit mehr zählen und Entscheidungsträgern besser zu Gesicht stehen als bloße Behauptungen und Spott.

Wenn abweichende Argumentationen als Spinnereien, als hysterisch herabgewürdigt werden, wie es Fuglede hier andeutet und wie Messerschmidt es tat, und wenn dies zum Mainstream in der Debatte wird, dann ist keine konstruktive Diskussion mehr möglich.

Und genau an diesen Punkt wollen die autoritären Bewegungen, die es auf Menschenrechte und Gleichberechtigung  für Minderheiten abgesehen haben, kommen. Sie wollen nicht argumentativ diskutieren, sie wollen ihre Ideologie durchsetzen.

Dass die Regierung, die sich aus ursprünglich europafreundlichen Parteien zusammensetzt, dieser Entwicklung die  Steigbügel hält und sich, man kann nur naiv hoffen: unbewusst, ihren Sprachgebrauch zu eigen macht, lässt befürchten, dass sich Dänemark auf dem Weg dahin befindet, wo Gesellschaften wie Polen und Ungarn schon sind. 

Auch dort haben es  Medien und progressive Demokraten nicht geschafft, die Rhetorik der als Modernisten verkleideten Autoritären zu entlarven – und zu entzaubern. Stattdessen gingen sie ihnen immer wieder auf den Leim.  

Ja, vielleicht wird hier aus einem schlechten Scherz ein Drama, aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Es wäre eine gute Nachricht. Denn dann wäre noch Zeit, immer wieder die rhetorische Fliegenklatsche zu zücken und darauf zu pochen, dass wir uns alle auch an Regeln im Umgang zu halten haben, wenn wir die freie und offene Gesellschaft, die wir so schätzen, wirklich  schützen wollen.

Mehr lesen

Leitartikel

Marle Liebelt Portraitfoto
Marle Liebelt Hauptredaktion
„Sexismus in der Minderheit: Menschen wie Maike Minor brauchen Rückhalt“

Kulturkommentar

Claudia Knauer
Claudia Knauer
„Zwischen onboarding und claims“