Leitartikel

„(Miss-)Fall per Mail “

(Miss-)Fall per Mail

(Miss-)Fall per Mail

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Mit Blick auf die irrgeleitete sozialdemokratische Email meint Siegfried Matlok, ehemaliger Chefredakteur des „Nordschleswigers", die Politik in Dänemark sei schmutziger geworden – nicht zum Vorteil der Demokratie im Lande.

„Nordschleswiger“-Chefredakteur Gwyn Nissen hat kürzlich in einem treffenden Kommentar in diesen Spalten unter der Überschrift „Die spinnen die Politiker“ den (Miss-)Fall mit der sozialdemokratischen Mail kommentiert, die in  falsche Hände geriet und damit die sowieso schon so schwierigen Verhandlungen über eine kommunale Ausgleichsreform zwischen Sozialdemokraten und Venstre erschwert.

Inzwischen haben sowohl Finanzminister Nicolai Wammen als auch Staatsministerin Mette Frederiksen „Staub geküsst“, haben sich in aller Öffentlichkeit entschuldigt. Das tun Politiker wahrlich nicht gern, vor allem geschieht es höchst selten, dass ein Regierungschef sich so deutlich entschuldigen muss. Nach ihren Worten bedauerte sie  jedoch nicht nur die Existenz dieser konspirativen Mail, sondern den Geist dieses Schreibens.

Die Hintermänner – die als Spindoktoren hinter den Kulissen die Fäden ziehen – sind ein Produkt einer politischen Entwicklung, in der Verpackung und Inszenierung marktstrategisch oft wichtiger sind als die Substanz. Grundsätzlich bringen diese Veränderungen in der dänischen Demokratie und im Parlamentarismus auf Christiansborg ganz neue Spielregeln – vor allem auch für die Beamtenschaft, die in Dänemark stets wegen ihrer strikten parteipolitischen Neutralität ein Eckpfeiler an Solidität gewesen ist.

Egal wer Regierungs-Verantwortung trug. Es ist wehmütig, zugleich jedoch naiv, heute noch von jenen Verhältnissen zu träumen, als es im Staatsministerium einen Spitzenbeamten namens Heinrich Schleebaum gab, der jahrzehntelang sowohl für sozialdemokratische als auch für bürgerliche Staatsminister fähiger Redeschreiber war. Vorbei sind die Zeiten, da man auch als Politiker stets auf die Loyalität von Mitarbeitern/Beamten voll vertrauen konnte.  Der Dammbruch erfolgte just in diesem Bereich.

Schon unter dem damaligen Umweltminister Christian Christensen – übrigens ein Christlicher, der damals als erster Minister grüne dänische Umweltpolitik betrieb –  gab es in der Beamtenschaft Quellen, die ihre Unzufriedenheit durchsickern ließen. Diese immer größer werdenden „Löcher“ im System, vor allem aber auch der  Wandel in der parlamentarischen Berichterstattung, der den Politikern seit Jahren immer mehr Kopfzerbrechen bereitet, haben dazu geführt, dass Regierungen und Parteien immer mehr aufrüsten, um selbst die Deutungshoheit im Kampf um die oft von den Medien gesetzte Tagesordnung zu erobern und für sich zu gewinnen.

Die Sozialdemokratie hat schon in der langen Oppositionszeit einen Nachholbedarf gespürt, sich im Wettrennen oft benachteiligt gefühlt. Der inzwischen aus Krankheitsgründen ausgeschiedene starke Mann der Sozialdemokratie auf Christiansborg, Henrik Sass, ließ keinen Zweifel daran, dass die Sozialdemokratie bei einem Wahlsieg durch eigene Personen das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen würde. Das hat dazu geführt, dass der aus Norburg stammende Chefberater der Staatsministerin, Martin Rossen, seit der Wahl eine ungewöhnlich dominante Rolle im Staatsministerium spielt, dass zugleich der bis dahin anerkannte Departementchef im Staatsminsterium eiskalt entlassen wurde und dass alle Ministerien – welch ein Zufall – bei der Besetzung von Presse-Mitarbeitern, klingt harmloser als Spindoktoren, stets auf das Parteibuch der Bewerber setzten.

In der Tat hat auch Venstre in den vergangenen Jahren ähnliche Personal-Manöver durchgeführt, aber die Art und Weise, wie die Sozialdemokraten nun machtvoll alle strategischen Posten für sich beanspruchen, ist nicht nur auffallend, sondern auch demokratisch bedenklich. Da es sich ja um eine Minderheits-Regierung handelt, kann man sich über diese Geschäftspraxis nur wundern, denn Freunde macht man sich damit nicht – auch nicht in jenen Parteien, die dieser Regierung parlamentarisch Erste Hilfe leisten sollen.

Diese Entwicklung ist nicht mehr zu stoppen, alles andere zu glauben ist unrealistisch auch angesichts der neuen sozialen Medien. Die Frage ist allerdings, ob dabei nicht hohe demokratische Glaubwürdigkeit verloren geht. Erstens, weil diese „Dunkelmänner“ sich einer direkt-parlamentarischen Kontrolle geschickt entziehen, und zweitens weil der Unglücksfall per Mail ja ein schweres Indiz dafür ist, dass in der ach so „Hygge“-gemütlichen dänischen Konsens-Demokratie längst hinter den Kulissen manche ethische Grundsätze über Bord geworfen worden sind.

Da mögen sich die Politiker unterschiedlicher Parteien und Richtungen untereinander vor den Kameras freundlich begegnen und umarmen, aber hinter den Kulissen wird nicht damit gezögert, den politischen Konkurrenten auch als Gegner, ja sogar als Feind zu betrachten und ihn mit unsauberen, fiesen Tricks zu bekämpfen. Harte Bandagen im Wettbewerb natürlich, doch diese sozialdemokratische Mail ist kein Einzelfall. Die moralische Entrüstung darüber auch von bürgerlicher Seite scheint verdächtig heuchlerisch, aber unterm Strich bleibt eben, dass Politik insgesamt leider schmutziger geworden ist. Diese Mail hat nicht nur einer Partei die Maske vom Gesicht gerissen. Sie ist Ausdruck eines politischen Werteverfalls, der das demokratische System im Lande beschädigt und zusätzlich in Verruf bringt.  Die spinnen die Politiker – und zwar ein Eigentor!

 

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