Leitartikel

„In der Minderheit“

„In der Minderheit“

„In der Minderheit“

Apenrade/Aabenraa
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Wer in der Minderheit ist, braucht starke und faire Partner, um seine Rechte einzufordern, meint Cornelius von Tiedemann, der den Bericht des Europarats über die Umsetzung der Sprachencharta kommentiert.

Der Europarat hat am Donnerstag in Straßburg einen Bericht über den Zustand des Schutzes der Minderheiten- und Regionalsprachen in Deutschland vorgelegt – leider nur auf Englisch und Französisch.

Doch von dieser dem Rat eigenen Merkwürdigkeit abgesehen, ist der Bericht lesenswert. Er klopft einmal alles ab, was uns hier im Minderheiten-Grenzland vielfach selbstverständlich erscheint – und auch das, was einigen als vermessene Forderung scheinen mag.

In dem Bericht lobt der Rat die Maßnahmen, die getroffen werden, um Dänisch, Niedersorbisch, Obersorbisch, Nordfriesisch, Saterfriesisch, Niederdeutsch und Romani in Deutschland zu fördern und deren Status zu stärken.

Schleswig-Holstein wird in dem Bericht besonders gelobt und als positives Beispiel hervorgehoben. Zum Beispiel das auch hier bei uns in Dänemark praktizierte Modell, die Privatschulen der Minderheit finanziell auf Augenhöhe mit den öffentlichen Schulen zu behandeln. Auch dass offizielle Dokumente in der Muttersprache eingereicht werden können, wird gelobt.

Auch dies gilt eigentlich in Dänemark – wenngleich so manch ein Verbandsfunktionär Lieder davon zu singen weiß, wie viele Haken an diesem Recht hängen. Doch ein ausführlicher Bericht auf europäischer Ebene wäre nicht ein solcher, wenn nicht auch dies Erwähnung finden würde: Denn Rechte und Zugeständnisse einzuräumen, Verträge zu ratifizieren – und sie dann auch im Alltag in den kleinen und großen Fragen des Lebens wirklich konsequent einzuhalten und umzusetzen –, das sind zwei Paar Schuhe.

In Senioreneinrichtungen, im Fernsehen und in anderen Medien, vor Gericht oder beim Bürgerservice: Überall ist man offen für die Minderheitensprachen. Der gute Wille ist (fast) überall da – in Deutschland wie in Dänemark. Doch es braucht mehr als Worte und Absichtserklärungen, wenn die Sprachencharta in ihrem Kern vollumfänglich umgesetzt werden soll. Dabei tut sich ein Dilemma auf: Ab wann wird das Einfordern von Rechten als vermessen aufgefasst?

Die Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland sind weltweit mit am besten gestellt. Wohl nirgends wird faktisch so viel für die Minderheiten getan wie hier. Dafür können wir dankbar nach Kopenhagen, Kiel und Berlin (und vielleicht auch eines Tages Brüssel?) blicken. Doch eben das macht es dann auch manchmal so schwer, auch den letzten Schritt zu fordern. Konsequent zu bleiben und zu sagen: Das steht uns aber auch noch zu, das habt ihr ratifiziert!

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