Leitartikel

„Menschenrechte und die Frage nach der Perspektive“

„Menschenrechte und die Frage nach der Perspektive“

„Menschenrechte und die Frage nach der Perspektive“

Apenrade/Aabenraa
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Dänemark hat einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat bekommen. Und das in einer Woche, in der Dänemark haarsträubend unmenschliche Rückführungen von Kindern durchgeführt hat. Aber vielleicht bringe Dänemarks Mitgliedschaft ja auch ein Blick über den eigenen Tellerrand, ein gesteigertes Bewusstsein für das Leid in der Welt mit sich, meint Sara Wasmund.

„Vorsicht, Satire: Dänemark will einen Sitz im Rat für Menschenrechte“ – kaum war dieser Satz zu Ende gedacht, beschloss der UN-Rat für Menschenrechte, Dänemark ab 2019 eine dreijährige Mitgliedschaft zu übertragen. Und das in einer Woche, in der Dänemark haarsträubend unmenschliche Rückführungen von Kindern und Jugendlichen durchgeführt hatte. Junge Menschen, die in Dänemark bestens integriert, aber politisch nicht gewollt waren. In einer Zeit, in der die Regierung die langfristige Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund zur Praxis non grata ausruft und es fertigbringt, 500 Quotenflüchtlinge abzulehnen und sie dort zu belassen, wo sie sind: in erbärmlichster Not. 

Nicht helfen wollen und Integrationswillige abschieben, aber einen Sitz im Rat der Menschenrechte. Mit Blick auf weitere Mitglieder des UN-Rats wird schnell deutlich: Dänemark befindet sich in durchaus übler Gesellschaft. 

Saudi-Arabien ist vertreten, eine absolute Monarchie, die ihr Rechtssystem auf der Grundlage der Scharia ausrichtet, Prügel- und Todesstrafe inklusive. Eritrea, Neu-Mitglied neben Dänemark. Ein Land, in dem Tausende Gefangene laut Humanrights willkürlich und unter lebensbedrohlichen Umständen ohne Anklage inhaftiert sind. 

Somalia, neues Mitglied im Rat. Jenes Land, das die höchste Rate von weiblicher Genitalverstümmelung aufweist, 98 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind beschnitten.
Befasst man sich also mit anderen Ratsmitgliedern, wirkt Dänemark gar nicht mehr so unmenschlich. Ganz nach dem Motto: Schlimmer geht immer. 

Und tatsächlich kann man die dänische Regierung, die Politik im Folketing, die angewandte Gewaltenteilung, vor diesen Vergleichen nicht hoch genug schätzen. Die für uns so normalen Bürgerrechte wie Wahlen, die freie Meinungsäußerung. Kein Politiker in Kopenhagen strebt die Alleinherrschaft an (jedenfalls nicht offiziell …), keiner will eine absolutistische  Monarchie einführen. 
Die Politiker gehen auf Christiansborg für Vielfalt auf die Straße, und es herrscht – zumindest für dänische Bürger – die grundlegende Einstellung, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werde (falls er dem Staat nicht auf der Tasche liegt). 

Was also soll man davon halten − von Dänemarks Mitgliedschaft im UNHCR? Wird Dänemark den Sitz nutzen, um die Menschenrechte für die eigene, ausländerkritische Politik passender zu machen? Oder wird Dänemark als Land der freien Bürger andere Länder davon überzeugen können, in Zukunft doch bitte grundlegende Menschenrechte anzuwenden? 

Man könne ganz nüchtern konstatieren, so der dänische Direktor am Institut for Menneskerettigheder, Jonas Christoffersen, dass Dänemark ein starkes Menschenrechtsland sei. Und es gut sei, anderen in dieser Hinsicht ein Vorbild zu sein. 

Eine berechtigte Hoffnung? Kein Mensch glaubt daran, dass Saudi-Arabien plötzlich aufhört, Menschen zu verprügeln und hinzurichten, nur weil die Vertreter des Königreiches mit dänischen Diplomaten beim Rats-Frokost zusammensaßen. Zwei Königreiche, zwei Welten.  In dem einen spricht die Königin am Neujahrsabend zu ihrem Sekt trinkenden Volk, in dem anderen gilt für  Frauen  eine Schleierpflicht. 
Dänemarks Außenminister Anders Samuelsen sagte nach der Wahl in den Rat, er wolle versuchen, „über den Rat mit den Ländern ins Gespräch zu kommen, die nicht über die höchsten Standards an Menschenrechten verfügen“. 

Die demokratischen,  sogenannten westlichen Länder, sind im Rat in der Minderheit. Es ist schwer vorstellbar, dass sie Großmächte wie China dazu bringen können, ihre Politik der Menschenrechte zu ändern. Aber ein Miteinander-Reden ist nun mal die einzige Chance, die es überhaupt gibt. Es sei denn, man stürzt ein weiteres Regime dieser Welt, legt ein weiteres Land in Schutt und Asche. 
Und wer weiß: Vielleicht bringt Dänemarks Ratsmitgliedschaft, also der Blick über den eigenen Rand des Königlichen Porzellantellers, ja ein gesteigertes Bewusstsein für das Leid in der Welt mit sich.
 Sodass Dänemark nicht nur Werbung macht für die Demokratie. Sondern ein Verantwortungsbewusstsein für jene Menschen entwickelt, die nicht das Glück hatten, mit der dänischen Staatsbürgerschaft und all den damit einhergehenden Bürgerrechten geboren worden zu sein. 

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