Leitartikel

„Menschen sind Menschen“

Menschen sind Menschen

Menschen sind Menschen

Apenrade/Aabenraa
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So, wie man von Moslems, Christen, Konfessionslosen zurecht ausdrücklich verlangt, sich an die im Lande geltenden Spielregeln zu halten, dürfen sie alle auch verlangen, dass man ihnen vorurteilsfrei als Menschen begegnet, meint Cornelius von Tiedemann.

Viele erinnern sich noch an den 80er-Jahre-Hit „People are People“ von Depeche Mode. Menschen sind Menschen. 35 Jahre ist das her. Was die Frisuren (inklusive eines massiven Einsatzes klimaschädlicher Haarsprays) und die Kleidung angeht: Zum Glück. Der Song selbst ist immer noch nett anzuhören. Seine befreiend naive Botschaft gilt noch heute – und ist heute, wie man so gerne sagt, aktueller denn je.

Die Bertelsmann Stiftung hat die Deutschen wieder dazu befragt, wie tolerant sie anderen Religionen gegenüber sind. Viele der Ergebnisse spiegeln das wieder, was wir auch in Dänemark erleben, erfahren, wahrnehmen. Einige Ergebnisse überraschen, regen zum Nachdenken an.

Fest steht nach der Untersuchung: Die Menschen in Deutschland sind sehr tolerant, was andere Religionen angeht – mit Ausnahme in Bezug auf den Islam. Ihn sehen nur wenige als Bereicherung an. Das Image dieser Weltreligion ist das einer bedrohlichen politischen Ideologie geworden.

Dazu beigetragen haben natürlich zuallererst die Taten selbsternannter religiöser Krieger, Terroristen, die den Glauben an Gott für ihre wahnsinnige Gier nach Macht und Aufmerksamkeit missbrauchen. Regimes, die die Unterdrückung von Menschen religiös legitimieren. Fanatiker, die nach Europa kommen, um die bunt gemischten islamischen Gemeinden hier zu radikalisieren.

Zu sagen, dass die deutschen oder dänischen Medien die Hauptschuld am schlechten Image des Islam tragen, wäre also viel zu kurz gegriffen. Die Probleme, die innerhalb der weit gefächerten islamischen Glaubenswelt herrschen, sorgen schon für sich genommen dafür, dass Verständnis, Toleranz und Akzeptanz erschwert, herausgefordert werden.

Doch, und das müssen wir uns selbst dann doch auch vorhalten, wir tun doch fast alle auch nicht sonderlich viel, um hinter diesen für viele bedrohlichen Schleier zu blicken. Wir reden viel über „den Islam“. Theoretisch wissen wir alle Bescheid. Und doch reden die meisten von uns über Dinge, von denen sie nicht wirklich etwas wissen. „Die Moslems“ unterdrücken Frauen. „Die Moslems“ wollen den Gottesstaat, und so weiter.

Die Bertelsmann-Studie straft unsere Vorurteile zumindest teilweise Lügen. 91 Prozent der befragten Muslime gaben an, sich für die Demokratie auszusprechen. Besonders interessant: Unter den Konfessionslosen Deutschen sind es nur 83 Prozent. Besonders wenige Demokraten gibt es unter jenen, die den Islam ablehnen. Und es zeigt sich: Dort, wo gar keine Muslime leben, stoßen sie auf besonders hohe Ablehnung. Dort, wo es viele Menschen mit islamischem Hintergrund gibt, sind sie auch anerkannt.

Das liegt daran, dass die meisten Muslime in Deutschland – und in Dänemark – ganz normale Menschen sind. Menschen, die ganz unterschiedliche Verhältnisse und Meinungen zu ihrer Religion, zur Politik, zu Tradition, Identität, Fernsehprogramm, Automarke, Deo-Roller, Deo-Stick oder Deo-Spray haben. Wie jeder von uns.

Die Angst, die uns von einigen Politikern vor diesen Menschen, die genau wie andere, wenn sie denn überhaupt religiös sind, an den einen Gott glauben, gemacht wird, wird in Regionen, in denen kaum Muslime leben, nicht durch Alltagserfahrungen widerlegt. Wir kennen vielleicht den schlecht Dänisch sprechenden Mann hinterm Tresen im Pizzaladen oder sehen ab und zu Halbstarke aus den Vororten, die sich wichtig machen wollen. Schon sind alle unsere Vorurteile bestätigt.

Die ganz große Mehrheit der Muslime in Deutschland, und bestimmt auch in Dänemark, teilt unsere Werte. Demokratie und tolerantes Miteinander sind für sie genauso wichtig, wie für uns. Wir sollten uns das nicht von der feigen Minderheit jener Muslime und Christen kaputtmachen lassen, die nur „die und wir“ sehen und die lieber hetzen anstatt sich zu trauen, auf die Menschen, die einem so fremd vorkommen, zuzugehen.

Dafür, dass „der Islam“ von vielen so ausgelegt wird, dass es dänischen Werten widerspricht, können jene ganz normalen Leute, die aus islamisch geprägten Kulturen nach Dänemark gekommen sind, nichts.

So, wie man von Moslems, Christen, Konfessionslosen zurecht ausdrücklich verlangt, sich an die im Lande geltenden Spielregeln zu halten, dürfen sie alle auch verlangen, dass man ihnen vorurteilsfrei als Menschen begegnet. Sie nicht als „die“ abstempelt. Als Idioten können sie sich immer noch herausstellen. Oder als nett. Menschen sind schließlich auch nur Menschen.

 
 
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